Avner Dorman, Ludwig van Beethoven, ­Heinrich von Herzogenberg

Progress – Fortschritt

Werke von Avner Dorman, Ludwig van Beethoven und ­Heinrich von Herzogenberg. Ensemble 4.1 Piano Windtet

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ars Produktion ARS 38 271
erschienen in: das Orchester 07-08/2019 , Seite 74

Das Ensemble 4.1 hat mangels einer eindeutigen musikwissenschaftlichen Alternative eine neue Besetzungbezeichnung kreiert: Die vier Bläser – Oboe, Klarinette, Horn und Fagott – und der fest zum Ensemble gehörende Pianist nennen sich anglophil „Piano Windtet“. Es sind fünf Herren, die sich zum gemeinsamen Konzertieren in der von Mozart mit KV 452 begründeten Besetzungsform gefunden haben: der Pianist Thomas Hoppe, der Oboist Jörg Schneider, der Klarinettist Alexander Glücksmann, der Fagottist Christoph Knitt und der Hornist Fritz Pahlmann.

Der CD-Titel Progress – Fortschritt hat wohl nur bedingt etwas mit der Werkauswahl zu tun, sondern vielmehr mit der Ensemble–geschichte: Die erste CD trägt den Titel Ursprünge – Origin. Gleichwohl repräsentiert die erste Komposition, aus der Feder des 1975 geborenen israelischen Komponisten Avner Dorman, mit ihrer teils traditionellen, teils an der Neuen Musik orientierten Tonsprache in Ansätzen den musikalischen Fortschritt. Der Hörer wird unmittelbar in einen rhythmisch dominierten musikalischen Strudel gezogen, der von einer klagenden Oboen-Melodie durchbrochen wird. Tiefe, seufzende Klarinettentöne und klangflächenartige Partien bringen Beruhigung. Ein Fagottsolo führt zu einer ausgelassenen Klezmermusik, sich steigernde Virtuosität und tänzerischer Rhythmus gewinnen die Oberhand, bevor ein Donnerschlag in Form eines dröhnenden Klavierclusters das dramatische Ende vermuten lässt, aus dem sich aber Liegeklänge alla Ligeti ausbreiten. Das Innere des Flügels wird dann mit orientalischen Anklängen als Zupfinstrument zu verhaltenen Bläser­arabesken genutzt, bevor mit rhythmischer Verve das Stück beendet wird. Diese polystilistische Klangwelt ist Dormans Darstellung des Lebens in Jerusalem, genannt Jerusalem Mix, vom Ensemble 4.1 nicht nur perfekt, sondern auch in der gesamten Ausdrucksdichte und mit Spielvergnügen realisiert.

Zum Standard-Repertoire gehört Beethovens dreisätziges Quintett Es-Dur op. 16, das ausgewogen in der klanglichen Balance zwischen den einzelnen Bläsern wie auch im Verhältnis dieser zum Klavier musiziert wird. Neben den ansprechend gestalteten lyrischen Stellen im zweiten Satz ist in den Ecksätzen aber auch ein sehr beherzter Zugriff in den Tuttipartien zu erkennen.

In dem halbstündigen Quintett op. 43 des Brahmsfreundes Heinrich von Herzogenberg (1843-1900), dessen Schlusssatz mit Spielfiguren aus Brahms’ Klavierwerken Epigonales nicht verleugnen kann, ist es vor allem der Pianist Thomas Hoppe, der dem Werk mit dem bravourös gemeisterten dominanten Klavierpart musikalisches Profil verleiht.

Insgesamt geht das En­semble mit großer Intensität ans Werk, scheut sich aber auch nicht vor nahezu sinfonischer Klangentfaltung, die gelegentlich zur Schärfe führt. Die Aufnahmetechnik bevorzugt ein kompaktes Klangbild, das dadurch aber an Transparenz einbüßt.

Heribert Haase