Premiere
Die nicht mehr ganz so Jungen erinnern sich an die alten Schlager “Pigalle, Pigalle”, “Die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe” und andere Schmonzetten, die ein Herr mit baritonaler Wucht und amerikanischem Akzent vortrug. Es war der nach seiner Militärzeit in Deutschland gebliebene US-Sänger Bill Ramsey, der einmal als Jazzsänger begonnen hatte. Im September 2008 absolvierte er in der Deutschen Oper Berlin mal wieder einen markanten Gig. Und das Phänomen Ramsey stand auf der Bühne vor einem anderen Phänomen: der Bigband eines Opernhauses, nämlich eben der Deutschen Oper Berlin. Dass ein Musiktheater, unterstützt von Rundfunk-Sinfonikern und ein paar Jazz-Instrumentalisten, eine knackig jazzige, vehement swingende Crew aufbieten kann, ist bemerkenswert. Und sagen wir es ruhig laut: Das eigentlich Verblüffende und Mitreißende dieser CD ist weniger der US-Crooner in sechs Nummern, sondern dieses Jazzorchester, das auch ohne den Gast in fünf Stücken begeistert. Besonders anzuerkennen ist, dass sich viele, ja die meisten der Musiker als ausgezeichnete Solisten und das heißt in diesem Fall auch Improvisatoren vorstellen.
Mit “Love For Sale”, einem der großen Standards von Cole Porter in wirkungsvollem Arrangement, beginnt die Serie schnell und drivend. Unter den drei bebop-inspirierten Solisten imponiert vor allem der Altsaxofonist Oliver Link. Duke Ellingtons Satin Doll leitet Christoph Niemann mit einem virtuosen Bass-Solo ein, und nach dem Thema hören wir einen von Bandleader Rolf Nordenskjöld geschriebenen packenden, quasi-improvisatorischen Satz der Reed-Section. Bei “Caught Speeding” von dem Bigband-Spezialisten Sammy Nestico tritt zum ersten Mal der Hauptsolist aus der Band, Peter Ludwig mit dem Tenorsaxofon, ans Mikrofon. In “Brush Hour”, einem melodisch interessanten Stück von Nordenskjöld, wird der Schlagzeuger Rüdiger Ruppert mit den Jazzbesen gefeatured, “I Aintt Gonna Ask No More” von der japanischen Pianistin Toshiko Akiyoshi stellt Thomas Richter mit der Bassposaune heraus.
Bill Ramsey singt den “Work Song” von Nat Adderley, sehr expressiv und viril und lässt durchblicken, dass er eigentlich gern ein schwarzer Bluesman wäre. Die Einleitung des uralten Hits “Indiana” müsse geknödelt werden, und ich mache Ihnen das vor, verkündet der Amerikaner in einer seiner witzigen Ansagen. Besser klingt sein Solo-Scat-Gesang im Zentrum der Nummer. Route 66 Ramsey: eine deutsche Autobahn? ist das richtige Terrain für ihn. Beim “All Blues” von Miles Davis versucht er es in der Manier des großen Basie-Band-Sängers Joe Williams, bevor er einen weiteren Scat abliefert. Gleiches macht Ramsey am Ende bei Gershwins “I Got Rhythm” im Duo mit Nordensjköld. Doch sein bester Beitrag ist das zumindest anfangs balladenhafte, später bluesige “Georgia On My Mind” des alten Chicagostil-Musikers Hoagy Carmichael, das sogar Ray Charles als einer hingebungsvollen Interpretation würdig befunden hat.
Günter Buhles