Wickel, Hans Hermann / Theo Hartogh

Praxishandbuch Musizieren im Alter

Projekte und Initiativen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: das Orchester 06/2012 , Seite 60

Die höhere Lebenserwartung und das Anwachsen des älteren Teils der Bevölkerung haben ein neues gesellschaftliches Bewusstsein für Lebensqualität im Alter geweckt. Seit einigen Jahren gibt es hier eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema Musik. An manchen deutschen Musikhochschulen ist die „Geragogik“, das Lernen bis ins hohe Alter, bereits Bestandteil von Lehre und Forschung.
Der vorliegende Band ist eine Zusammenstellung von Erfahrungsberichten und Dokumentationen verschiedenster Aktivitäten auf diesem Gebiet in Deutschland. Das Schaffen von musikalischen Angeboten für höhere Altersgruppen muss anderen Anforderungen genügen als das musikalische Leistungsdenken, das die Ausbildung an Musik- und Musikhochschulen für gewöhnlich prägt. Verschiedene Institutionen starteten in den vergangenen Jahren Pilotprojekte: von altersgemischten Unterrichtsgruppen an Musikschulen bis zu gemeinsamen Musikstunden im Seniorenheim mit der Kindergartengruppe von nebenan oder moderierte Mittagskonzerte mit Studierenden einer Musikhochschule.
Die Bedürfnisse „junger Alter“ bei Eintritt ins Rentenalter unterscheiden sich sehr von denen hochbetagter, pflegebedürftiger oder im Heim lebender alter Menschen. Bei Eintritt ins Rentenalter verspüren viele Menschen den Wunsch, Neues kennen zu lernen und auszuprobieren, sich weiterzubilden vor allem in Bereichen, in denen auch ein sozialer Austausch möglich ist. Hier gibt es für Senioren Angebote vom gemeinsamen Musikhören über aktives Musizieren bis zu Kompositionskursen und Kulturreisen. Berichte über Chorprojekte, neue Instrumente und Methoden für das Gruppenmusizieren im Alter ergänzen den Einblick in mögliche Projekte.
Auf der anderen Seite stehen Berichte über musikalische Aktivitäten aus Altenpflegeheimen mit demenzkranken Menschen. Dankbar werden der „Klangwagen“ der Musikgeragogin Ursula Christopheit-Mäckmann oder der „musikalische Tischbesuch“ von Anne Kathrin Raue angenommen. Für gesundheitlich stark eingeschränkte und vereinsamte alte Menschen bringt die Musik oftmals tiefe emotionale Berührung und Zuwendung, die vom Pflegepersonal im Alltag kaum gegeben werden kann. Über das gemeinsame Singen werden Erinnerungen, Emotionen und damit gleichzeitig das Bedürfnis nach Mitteilung und Austausch geweckt. Das Bewusstsein für eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität auf diesem Weg hat auch Rainer Jakobi dazu bewegt, in Gütersloh eine Pflegeeinrichtung mit speziell musikgeragogischem Schwerpunkt aufzubauen. Diese stellt er von der materiellen Ausstattung über die spezielle Personalauswahl bis hin zum musikalischen Wochenplan vor.
Das Praxishandbuch ist kein systematisches Lehrbuch, vielmehr zeigen die präsentierten Projekte eine Palette der Möglichkeiten, bieten Anregungen und Anknüpfungspunkte auf dem noch jungen Fachgebiet des Musizierens im Alter.
Anja Kleinmichel