Christian Bührle/ Markus Kiesel/ Joachim Mildner

Prachtgemäuer

Wagner-Orte in Zürich, Luzern, Tribschen und Venedig

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: ConBrio
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 60

Wer als Musikfreund lieber ei­nen Bogen um Coffee Table Books macht, weil sie im Ruch stehen, eher ein dekoratives Wohnaccessoire als ein ernst zu nehmendes Buch zu sein, darf sich gerne mal vom Gegenteil überzeugen lassen: Mit Prachtgemäuer ist dem Herausgeberteam um Markus Kiesel, Joachim Mild­ner und Dietmar Schuth ein Meis­terwerk gelungen – bestimmt nicht nur, weil es den Schweizer und ve­nezianischen Wohnorten und Ört­lichkeiten des „Meisters“ gewidmet ist. Sondern weil dieser Text-/Bild­band sich mit drei vorangegange­nen Publikationen zu einem genui­nen Vierteiler rundet, der Leben und Werk von Richard Wagner aus einem architektonischen Blickwin­kel heraus faszinierend beleuchtet.
Begonnen wurde die laut Vor­wort „bescheidene Tetralogie nach­geborener Enthusiasten“ 2007 mit dem inzwischen vergriffenen groß­formatigen Band Das Richard Wag­ner Festspielhaus Bayreuth. Die lo­gische Fortsetzung folgte 2016 mit Wahnfried, dem Wohnhaus Wag­ners in der Festspielstadt. Anschlie­ßend schwärmten die Autoren eu­ropaweit aus, um 2019 in Wandrer heißt mich die Welt fast jede noch so kleine Unterkunft des gezwungenermaßen vielreisenden Dichterkomponisten aufzuspüren und zu doku­mentieren.
Zum Abschluss stehen jetzt in Wort und Bild chronologisch die zentralen Wagner-Orte Zürich, Luzern, Tribschen und Venedig im Fokus, unterstützt von Experten aus der Schweiz und Italien sowie von drei waschechten Wagner-Nach­kommen.
Auch wenn man das titelgeben­de Prachtgemäuer eigentlich nur für die venezianischen Palazzi gelten lassen wollte, die Wagner bei seinen Aufenthalten in der Lagunenstadt bewohnte, hat das aus diesem Wort sich schälende Rheingold-Zitat durchaus seine Richtigkeit: Wie sei­ne Figur des Halbgotts Loge prüfte Wagner möglichst selbst, ob die je­weilige Götterburg, pardon: Wohn­statt, seinen hohen Ansprüchen ge­nügen würde, und er betrieb stets aufs Neue großen ausstatterischen Aufwand, ohne das dafür notwen­dige Geld zu haben.
Selbst Wagnerianer, die die gängigen Quellen kennen, lesen sich immer wieder fest, weil die Fülle an unterhaltsamen Details und die großartige Qualität des vergleichen­den, d.h. historischen und heutigen Bildmaterials einen schlichtweg in Bann schlägt. Die Fotos von Land­schaften und Städten, Straßenzügen, Häusern, Gärten, Zimmern und In­terieurs, Briefen, Plänen, Verträgen und Rechnungen, die Porträts, Ge­mälde und hervorgehobenen Zitate schaffen immer wieder die Illusion, fast ein Zeitzeuge zu sein. Das ge­lingt sogar dort, wo die realen Le­bensräume nicht mehr vorhanden sind. Zudem haben sich für dieses Buch auch Türen geöffnet, die sonst verschlossen sind.
Wagners Tod in Venedig ist nicht das letzte Kapitel, denn er starb ohne Testament. Markus Kiesel präsentiert die Nachlassakten und dokumentiert, was im Laufe der Zeit aus dem Erbe, aus der Familie und dem Familienbetrieb Festspiele geworden ist. Ein Ende ist jedenfalls nicht abzusehen.
Monika Beer