Werke von Luís Costa, Fernando Lopes-Graça, Luís de Freitas Branco und Joly Braga Santos

Portuguese Music for Cello and Orchestra

Bruno Borralhinho (Violoncello), Orquestra Gulbenkian, Ltg. Pedro Neves

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naxos 8.573461
erschienen in: das Orchester 01/2017 , Seite 65

Nach einer Veröffentlichung mit Werken portugiesischer Komponisten für Cello und Klavier legt Bruno Borralhinho ein Folgealbum mit Werken für Cello und Orchester vor. Borralhinho ist Cellist bei der Dresdner Philharmonie, künstlerischer Leiter des Ensembles Mediterrain, als Solist und auch Dirigent tätig, versteht sich als Sachwalter portugiesischer Musik.
Sein Spiel zeichnet sich durch Klarheit aus, sein schlankes Vibrato kommt den ausgewählten Werken zugute. Von den vier Stücken sind zwei einsätzig, zwei dreisätzige Kon­zerte. Die Eröffnung bildet Poema von Luís Costa (1879-1960), in den 1950ern für Cello und Klavier geschrieben, in der Instrumentation ergänzt von Pedro Faria Gomes. Die Sonatenform tritt durch die rhapsodische Anlage unterschiedlicher Charaktere, von Elegie bis Scherzo, in den Hintergrund. Klanglich originell ist die Parallelführung von Solocello und Flöten.
Das Concerto da Camera col Violoncello Obbligato op. 167 von Fernando Lopes-Graça wurde 1967 vom Auftraggeber Mstilaw Rostropowitsch uraufgeführt. Die chromatische Tonsprache gemahnt in ihrer Abgründigkeit zuweilen an Schostakowitsch. Typisch ist eine assoziative Verkettung von Gestalten, die sich oft auch repetierend festzurren. Der Finalsatz beginnt mit einem viertönigen Motto, einer Kreuzfigur, die sich unruhig durch den virtuosen Satz zieht, ehe dieser in einem Morendo verklingt.
Die Cena Lírica (1916) von Luis de Freitas Branco steht noch in spät­romantischer Tradition, das Hauptthema ist der Greensleeves-Melodie nicht unähnlich. Borralhinho nutzt es zu ruhigem Aussingen.
Das gewichtigste Werk in dieser Sammlung ist das 1987 geschriebene Concerto für Cello und Orchester op. 66 von Joly Braga Santos (1924-1988). Die traditionelle Tempoabfolge der drei Sätze wird umgekehrt, der einzige schnelle Satz steht in der Mitte. Die Holzbläserlinien zu Beginn assoziieren Debussy und Strawinsky, der Solist ist in ein gesamtsinfonisches Geschehen eingebettet. Auf die heftigen Ausbrüche im perpetuum-mobile-haften Allegro folgt ein lamentohaftes Andante, klanglich faszinierend durch ungewöhnliche Medianten und Spaltklänge. Die drei Sätze sollten ineinander übergehen, hier sind die Pausen zwischen ihnen zu lang. Durch die Aufnahmetechnik wird das Cello stets in den Vordergrund geholt, auch an Stellen, in denen es sich live schwerer durchsetzen wird. Den Orchesterinstrumenten fehlt es an Raum, die Tonmischung zeigt wenig Abstufungen.
Das Orquestra Gulbenkian gestaltet diese Kompositionen gut, es ist oft mehr als nur Begleiter. Es wäre gerade den beiden Konzerten zu wünschen, dass sie mehr aufgeführt werden. Portugiesische Komponisten stehen kaum auf dem Spielplan, bedauerlicherweise. Borralhinhos Einsatz für diese Werke ist sehr zu begrüßen, er spielt sie mit viel Engagement, ohne Übertreibungen.
Auf dem reiseprospektartigen CD-Cover fehlt mir die Traurigkeit („Saudade“!), die diesen Stücken oft auch eingeschrieben ist.
Christian Kuntze-Krakau