Al-Odeh, Simon
Politische Musik
op. 19 für Ensemble (9 Spieler), Partitur und Stimmen
“Kunst ist Selbstzweck und kann niemals egal in welchem Gebrauch einem anderen Zweck dienen”, heißt es im knappen Vorwort des Komponisten. Ein “Paradoxon” gar sei der Titel. Öffnet man nun, ein wenig irritiert, die Partitur, lächelt ein anderthalbminütiges Werk für neun Musiker (Sopransaxofon, Klarinette/Bassklarinette, Horn, Trompete, Bassposaune, Klavier, Violine, Viola und Violoncello) mit einer etwas schnelleren (Viertel = 120) und einer ein wenig ruhigeren (Viertel = 100) Hälfte hervor. Überraschend wenig Töne, keine technischen Herausforderungen, anscheinend ein einfaches Stück, das sich schnell selbst erklärt. Schlimmer noch: Keine vertrackten Einsätze, keine sperrigen Rhythmen oder harmonisch um die Ecke gedachten Modulationen, noch nicht einmal eine einzige moderne Spieltechnik sind anzutreffen. Ein bisschen Enttäuschung macht sich breit und vergeblich sucht man den Waschzettel, der so gern ganz vorne in den Noten prangt und krause Zeichen in origineller Notation erklärt.
Was liegt hier auf den Pulten? Eine kurze Zugabennummer aus den Händen eines kompositorischen Autodidakten? Doch der 24-jährige Al-Odeh wird bereits verlegt und studiert mittlerweile Komposition.
Die Musik ist eingängig, ein bisschen modern im Sinne der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, alles entwickelt sich logisch aus dem Vorherigen. Probiert man am Klavier jedoch ein bisschen aus, verspürt man trotzdem Lust, es mit ein paar Musikerkollegen sofort auszuprobieren. Vielleicht weil es so einfach ist.
Al-Odeh setzt die wenigen Töne reizvoll, beschwört den dürren Schatten eines Marsches, der allerdings durch Trompete und Horn etwas Festigkeit gewinnt, und streut mit Saxofon und Klarinette ein bisschen Wärme darüber. Das Klavier exerziert am Anfang kurz über chronisch unterbeschäftigten Streichern, um nach der kurzen Überleitung zum zweiten Teil streckenweise ganz zu verschwinden. Im zweiten Teil dürfen die Streicher mit den beiden Holzbläsern eine kleine, fast swingige Kantilene blasen, dann ist alles vorbei. Gerade 34 Takte lang ist die Politische Musik.
Warum der Komponist politische Musik als “Paradoxon” sieht, warum er trotzdem das auffallend schlicht gehaltene Werk so betitelt, ist eine Frage, die im Ensemble und unter den Zuhörern zu Diskussionen führen kann. Kann denn Musik überhaupt politisch sein? Kann Musik zu politischen Zwecken instrumentalisiert werden, sind Musiker zwangsläufig unpolitisch? Wird nicht durch die Wahl des Titels und die Diskrepanz zum selbstsicher dahin geworfenen Vorwort eine politische Diskussion erst angeregt? Oder sind Marschartiges und Tanzartiges hier Persiflagen oder schlimmer noch, unbedarft orientiert an älteren Vorbildern, ohne große individuelle Kunstleistung?
Das kleine Stück, den Ohren ein sehr angenehmes Intermezzo, bekommt plötzlich unerwartete Brisanz.
Heike Eickhoff