Bloch, Ernest

Poems of the Sea/Voice in the Wilderness/Konzert für Violine und Orchester

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio 67 071
erschienen in: das Orchester 10/2004 , Seite 84

Ernest Bloch zählt zu jenen Komponisten, die mit lediglich einem kleinen Ausschnitt ihres Œuvres im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert sind. Im Falle Blochs ist es im Grunde nur ein einziges Werk, nämlich die Rhapsodie Schelomo für Violoncello und Orchester. Mit dieser hat Bloch seinen Ruf als der archetypisch jüdische Komponist begründet. Nun spielt das Erbe des Judentums in Blochs Musik unzweifelhaft eine entscheidende Rolle, wie er selbst sagte: „Die jüdische Seele ist es, die mich interessiert, diese kom-plexe, glühende, erregte Seele, die ich in der Bibel vibrieren fühle.“ Allerdings lässt sich Blochs Schaffen nicht auf diesen einen Aspekt reduzieren und auch hat sich seine Tonsprache nach dem Schelomo beträchtlich weiterentwickelt.
Die CD bietet einen repräsentativen Überblick über einige, wenn auch nicht alle Themen und Genres, mit denen er sich beschäftigte. Da ist zum einen die musikalische Natur- und Landschaftsschilderung, wie sie sich in den Poems of the Sea manifestiert. Das dreisätzige Werk entstand 1922 in Amerika. Dorthin war der in Genf als Sohn eines Uhrmachers geborene Bloch 1916 emigriert und dort sollte er sich, nach einem weiteren mehrjährigen Aufenthalt in der Schweiz, 1939 für immer niederlassen. Ohne im eigentlichen Sinn Programmmusik zu sein, geben sich die Poems of the Sea äußerst bildhaft, farbig instrumentiert und melodisch eingängig. Wenn man von Einflüssen sprechen kann, dann entstammen diese eher der amerikanischen bzw. britischen Musik, z.B. im zweiten Satz „Chanty“, der gelegentlich an die Musik Vaughan Williams’ erinnert.
Voice in the Wilderness, eine Sinfonische Dichtung mit obligatem Cello, vertritt das jüdische Element in Blochs Schaffen. Das 1936 vollendete Werk ist eine Fortsetzung des Schelomo, mit dem es nicht nur die Besetzung, sondern auch die deklamatorisch-prophetische Haltung gemeinsam hat. Die Tonsprache ist jedoch rauher, weniger opulent. Die Elemente jüdischer sakraler Musik sind vollends in die melodische Struktur der Komposition eingeflossen.
Einen ebenso großen Anteil wie themenbezogene Werke besitzt die absolute Musik im Œuvre Ernest Blochs. Das Violinkonzert gehört zu den letzten Werken, die Bloch vor seiner endgültigen Emigration in die USA komponierte. Es vermag mit seiner fasslichen Thematik und der vorwiegend lyrischen Grundhaltung zu beeindrucken und gibt dem
Solisten reichlich Stoff zur Demonstration seiner Virtuosität. Doch drängt sich der Eindruck auf, dass die Komposition, gemessen an ihrer thematischen Substanz, mit 35 Minuten zu lang geraten ist; insbesondere die permanenten „scotch snap“-Rhythmen ermüden auf Dauer.
Den Interpreten gebührt durchweg großes Lob; sowohl Matthias Wollong als auch Wolfgang Emanuel Schmidt zeigen sich als höchst engagierte Sachwalter der Bloch’schen Musik, und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin fühlt sich mit Farb- und Melosgespür in die Klangsprache des Komponisten ein.
 
Thomas Schulz