Olivier Messiaen
Poèmes pour Mi/Chronochromie/La Transfiguration de Notre Seigneur Jésus-Christ
Jenny Daviet (Sopran), Pierre-Laurent Aimard (Klavier), Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Kent Nagano
In seinem Buch 10 Lessons of my Life würdigte Kent Nagano in einem Kapitel Olivier Messiaen, aber vor allem dessen zweite Frau Yvonne Loriod. Der amerikanische Dirigent bewunderte das außerordentliche Können der Pianistin. Für ihn erwies sich die intensive Freundschaft mit dem Ehepaar als Glücksfall. Seit der ihm durch den Komponisten vermittelten Probenleitung zur Uraufführung von Messiaens Oper Saint François d’Assise in Paris (1983) gehört dessen Schaffen zu Naganos Schwerpunkten. Als GMD brachte er Saint François d’Assise mit dem Bayerischen Staatsorchester heraus, dieTurangalîla-Sinfonie dirigierte er zuletzt in der neu eröffneten Isarphilharmonie. Die von BR-Klassik zum 70. Geburtstag Naganos vorgelegte Edition bündelt Aufnahmen aus den Jahren 2017 bis 2019. Mit La Transfiguration de Notre Seigneur Jésus-Christ gastierte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bei den Salzburger Festspielen.
Auf den CDs hört man, wie stark die durch die Reihe Musica Viva geforderte Flexibilität des Klangkörpers den Werken Messiaens zugutekommt. Die wogenden Fortissimi in La Transfiguration geraten imponierend. In der zwischen Orchester- und Kammerwirkungen springenden Chronochromie fasziniert der schwebend leichte Kontrast zwischen der „Antistrophe II – Un peu vif“ zu der nur mit Solotreichern besetzten „Épôde“. Auf den CDs vermittelt sich die Staffelung der Instrumente packend, vor allem in den gedämpften Bläsern und den durch den Raum wandernden Xylofon-Tönen. Chorpassagen und die Vielstimmigkeit des Orchestersatzes geraten in starke Spannung zueinander. Damit stärkt Nagano die Dramatik.
Naganos Vorliebe für Messiaen ist eigentlich ein erstaunliches Phänomen, denn seine klar organisierten und die von ihm transparent gehaltenen Abläufe sind Eigenschaften, hinter denen man keine besonders starke Affinität zum spirituellen Lebens- und Kunstverständnis Messiaens vermuten würde. Nagano selbst spricht davon, dass seine Auseinandersetzung mit Musik erst durch die künstlerische Energie Messiaens und Loriods einen richtungsweisenden Sinn erhalten habe. Die Frage, ob es sich bei diesen Partituren um eine rituelle oder meditative Musik handelt, wird demzufolge unwesentlich. Nagano gestaltet die 100-minütige Transfiguration nach der Verklärung Jesu im Neuen Testament als universell gültiges Werk, vermeidet monumentale Einschüchterungsgesten und modelliert die vielen kammermusikalischen Passagen zu episodischen Höhepunkten.
Beeindruckend ist in den Poèmes pour Mi, die Messiaen seiner ersten Frau Claire Delbos gewidmet hatte, ein die Größe des Apparats vergessen machender intimer Orchesterklang unter dem von Jenny Daviet nuanciert wie cremig gesungenen Gesangspart. Leider enthält das Booklet neben dem Messiaen-Kapitel aus Naganos Buch keinerlei Informationen zu den Werken. Online findet man diese in den Programmheften zu den Konzerten.
Roland Dippel