Schweinitz, Wolfgang von

Plainsound Glissando Modulation

Raga in just intonation for violin and double bass

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Neos 10812
erschienen in: das Orchester 04/2010 , Seite 77

In den 1990er Jahren wendete sich der 1953 in Hamburg geborene Komponist Wolfgang von Schweinitz der „reinen Stimmung“ zu, also weg vom Dur-Moll-Denken unserer abendländischen Musik und der kleinen pythagoreischen Ungenauigkeit ihrer „temperierten Stimmung“ (z.B. fis gleich ges). Nach Arbeiten von Hermann von Helmholtz und Alexander von Ellis schuf von Schweinitz eine neue Art der Notation, „Partituren“ mit richtungsgebenden Anweisungen und neuen Vereinbarungen, mit denen sich die Musiker vor dem ersten Ton zunächst einmal auseinandersetzen müssen.
Die sechs Regionen oder Ragas für Violine und Kontrabass sind den Interpreten gewidmet, dem Geiger Helge Slaatto und dem Bassisten Frank Reinecke. Für sie war diese Annäherung an das „zerbrechliche Material“ ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, auf jeden Fall „kein Routine-Fall der Neuen Musik“. Nach langer Beschäftigung mit den überraschend neuen Klängen, die sie aus ihren Instrumenten zauberten, hatten sie das Gefühl, dass die Töne ein Eigenleben entwickelten und sie ihnen „nicht im Wege stehen durften“.
Die gefundenen Differenztöne und Obertonkonsonanzen, die das alte Gegensatzpaar konsonant/dissonant völlig aushebeln, faszinieren mit Wirkungen, deren Sogkraft man sich nicht entziehen kann. Vielleicht sollte man sich nicht die gut siebzig Minuten der CD ohne Pause anhören, zum Glück gibt es ja sechs Tracks. Besser ist es vielleicht, eine der Regionen (zwischen 8 und 16 Minuten) zunächst mehrfach abzufahren, um die Besonderheiten dieser Musik, die keinen Anfang und kein Ende hat, besser aufzunehmen.
Nichts ist gleich, immer wieder ergeben sich neue Klangkombinationen durch Obertoneffekte. Die Wirkungen hoher Flageolett-Töne des Kontrabasses müssen hier ja nicht mehr beschrieben werden, auch die Wirkungen profunder Pizzicati nicht. Im Zusammenwirken mit den Besonderheiten ähnlicher und doch ganz anderer Möglichkeiten auf der Geige verblüffen sie jedoch. Die Definition der Inder: „Das, was den Geist färbt, ist ein Raga“, ist hier wirklich übertragbar, und von Schweinitz benutzt den Begriff im Titel zurecht. Man erlebt Ansätze von Melodien, Erinnerungen an Formen und manchmal sogar Klänge aus der guten alten Zeit; dann aber wieder experimentelle Querstände, bohrende Tonwiederholungen, wie improvisiert wirkende Klangsuche.
Insgesamt ein hochinteressantes Dokument und ein überaus virtuoses noch dazu: „Die grifftechnischen Grundlagen wurden mit unglaublicher Akribie recherchiert“, schreibt der Bassist in dem liebevoll aufbereiteten Booklet, das auch ins Englische, Französische und Spanische übersetzt wurde. Die Aufnahme des Bayerischen Rundfunks in einer Kirche wurde von der spanischen Fundación BBVA unterstützt.
Wolfgang Teubner