Zwischen vergangener Pracht und zerstörerischer Gegenwart – Kiew, wie es der YouTube-Film der Clara-Schumann-­Philharmoniker zeigt/Screenshot „Ukraina – den Opfern des Krieges“

Nicolaus Köhler/André Meyer

Plädoyer für Frieden und Freiheit

Die Clara-Schumann-Philharmoniker haben das Werk Ukraina – den Opfern des ­Krieges filmisch verewigt

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 9/2022 , Seite 43

Die „Composers Night“ hat bei uns schon eine gute Tradition. Bei diesen XXL-Konzerten präsentieren wir mehrere Hauptwerke und kleinere Kostbarkeiten an einem Abend, es gibt Informatives dazu in gesprochenem Wort und es gibt zwei Pausen, in denen kulinarische Köstlichkeiten aus dem Heimatland des Komponisten gereicht werden.
In der ersten Märzwoche waren wir mitten in den Proben für unser 5. Sinfoniekonzert, einer „Composers Night“ um Antonín Dvořák. Der furchtbare Krieg zwischen Russland und der Ukraine hatte wenige Tage zuvor begonnen und natürlich wollten wir Clara-Schumann-Philharmoniker:innen mit unserem Chefdirigenten Leo Siberski ein Zeichen gegen die Aggression Russlands, für unsere Solidarität mit der Ukraine und für Frieden allgemein setzen. Daher hatten wir – auch der Länge des Programms wegen – zunächst daran gedacht, die Nationalhymne der Ukraine zu spielen. Doch nur einen Tag später kam die Mail der Deutschen Orchestervereinigung, die allen interessierten Orchestern die Aufnahme des Werkes Ukraina – den Opfern des Krieges des Komponisten Eduard Resatsch aus Bamberg in die Konzertprogramme empfahl. Das Aufführungsmaterial war bereits im PDF-Format in der Mail enthalten. Der Komponist ist selbst Ukrainer und Cellist, er hat das Werk direkt unter dem Eindruck des hereinbrechenden Kriegs geschrieben.
Natürlich habe ich die Partitur sofort unserem Chef und dem Orchestervorstand weitergeleitet. Es gab keine langen Diskussionen – wir wollten das Werk unbedingt spielen! Es gab noch kleine Korrekturen an der Schlagwerk-Besetzung – es galten ja noch Corona-Abstandsregeln und wir konnten einfach nicht mehr Kolleg:innen auf die Bühne bringen. Die in der Partitur geforderte Sirene spielte das Tonstudio des Theaters ein. Letztendlich war das Publikum in den Aufführungen ebenso ergriffen wie wir selbst.
Ein Grund mehr, einer Online-Produktion dieser Komposition als Orchester zuzustimmen. So haben wir uns als Künstler:innen auch politisch positioniert, denn Resatschs Werk Ukraina – den Opfern des Krieges, das kurz nach dem 24. Februar, dem Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine, entstanden ist, ist ein starkes und emotionales Plädoyer für Frieden und Freiheit. Hört man das Werk zum ersten Mal, wird sehr schnell klar, wie visuell Resatsch in seiner Musik diesen Krieg und seine Folgen vom ersten Tag an musikalisch nachzeichnet: Die Bedrohung, die durch einen Krieg in einem Teil Europas entsteht, die russische Aggression und der ukrainische Widerstand werden ebenso Klang wie die gespannte Stimmung unmittelbar vor dem russischen Überfall auf das Land.
Aus dieser Wahrnehmung entstand die Idee, eine der Aufführungen der Clara-Schumann-Philharmoniker Plauen-Zwickau, die während des 5. Sinfoniekonzerts gespielt wurden, als Video aufzuzeichnen und anschließend mit Bildern aus der Ukraine vor und während der ersten Tage des russischen Angriffskriegs für eine Online-Veröffentlichung zu verbinden.
Initiator dieser Idee war unser Leitender Musikdramaturg André Meyer, der selbst das Konzept zu diesem Video entwickelt hat und für dieses Projekt den Berliner Filmschaffenden Raphael Howein gewinnen konnte. Grundüberlegung der beiden war es, das Visuelle der Musik Resatschs umzusetzen, gleichzeitig ein Bild der ersten Tage des Krieges zu zeichnen und damit wie auch mit Resatschs Musik die Zuschauer:innen emotional zu berühren. Auch die drohende Vernichtung der Kultur eines Landes – für uns ein besonders schmerzliches Thema, da Kultur immer auch Identität bestimmt – sollte thematisiert werden: Bilder der Ukraine vor dem Krieg eröffnen das Video, das anschließend auch die Vernichtung von Lebensraum verdeutlicht. Der Musik folgend wird neben der Zerstörung aber auch der Widerstand der Ukrainer:innen sowie die Flucht vor Gewalt gezeigt.
Wichtig war es den Autoren des Videos aber auch, deutlich zu machen, dass es sich bei dem Video um ein künstlerisch aufgearbeitetes politisches Statement der Clara-Schumann-Philharmoniker, ihres GMD Leo Siberski und des Theaters Plauen-Zwickau handelt. Deshalb wurden in der filmischen Gestaltung immer wieder Aufzeichnungen des Konzerts aus verschiedenen Perspektiven eingebunden. Darüber hinaus stand bei der Idee, Resatschs Komposition als Video zu produzieren, auch der Nachhaltigkeitsgedanke im Zentrum, denn es sollten nicht nur die Besucher:innen der insgesamt vier Aufführungen des 5. Sinfoniekonzerts, sondern auch Zuhörer:innen darüber hinaus erreicht und so Teil des politischen Statements werden.
Die Aufzeichnung entstand spontan, aus eigenen Mitteln und eigener Initiative. Nach Rück­sprache mit dem Orchestervorstand und dem musikalischen Leiter des Konzerts, GMD Leo Siberski, hat die Tonabteilung des Theaters Plauen-Zwickau die beiden Aufführungen des Konzerts im Vogtlandtheater mitgeschnitten und gleichzeitig für eine Videoaufzeichnung aus einer Zentralperspektive gesorgt. Zwei weitere Kameras wurden von Ensemblemitgliedern beigesteuert, sodass auch Detailaufnahmen möglich waren. Das Orchester sprach sich einhellig für dieses Projekt aus.
Die Bilder des online verfügbaren Videos stammen aus den ersten Tagen des Kriegs. Emotionale Bilder, Bilder der Zerstörung und des Widerstands in beiden Ländern finden durch die Auswahl von Raphael Howein und André Meyer Berücksichtigung. Damit ist das Video auch eine Momentaufnahme eines nun andauernden Kriegs. Für einen Empfang der Oberbürgermeisterin der Stadt Zwickau am 16. Juni im Konzert- und Ballhaus Neue Welt wurde eine Fassung erstellt, die auch bei Live-Aufführungen von Resatschs Kompositionen gezeigt werden kann. Sie wurde um weitere Bilder aus dem Kriegsverlauf seit der ersten Veröffentlichung des Videos ergänzt und ist so etwas wie ein subjektives Kriegstagebuch der Urheber des Videos, der Clara-Schumann-Philharmoniker und der öffentlichen Wahrnehmung über den Verlauf des Krieges.
Seit der Veröffentlichung auf dem YouTube-Kanal des Theaters Plauen-Zwickau und desjenigen der Deutschen Orchestervereinigung hat das Video seit Ende März über 1800 Zugriffe erzielt. Im Nachgang zum Konzert hat der Komponist eine sehr bewegende Mail mit Dankesworten an das Orchester und den Dirigenten für die Aufführungen in unseren Sinfoniekonzerten und das nachträglich produzierte Video geschickt.