Stephen Schwartz
Pippin. Die Kunst des Lebens (Broadway-Fassung 2013 in deutscher Sprache)
Kerry Jean, Gero Wendorff, Markus Günzel, Sascha Luder, Silke Richter, Bettina Weichert, Sybille Lambrich, Izobel Mary Evans, Mathilda Steinacker, Chor und Orchester der Staatsoperette Dresden, Ltg. Peter Christian Feigel
Der preisgekrönte Musical- und Filmkomponist Stephen Schwartz war im Lauf seiner Karriere nicht nur für Musik und Text von Blockbustern wie Wicked und Godspell verantwortlich, sondern immer auch für Überraschungen gut. Seit der Entstehung 1967 als Studentenclubfassung über die von Bob Fosse drastisch gezwirbelte Pippin-Uraufführung im New Yorker Imperial Theater 1972 mit 1944 Folgevorstellungen bis 1977 und bis zur Revival-Fassung 2013 durchlief das Stück mehrere Metamorphosen. Im Londoner Palladium gab es 2024 sogar ein „Pippin – 50th Anniversary Concert“. Wenige Monate früher kam an der Staatsoperette Dresden die hier inklusive Dialoge und Szenenmusiken eingespielte Produktion heraus. Koen Schoots erweiterte für die Personenstärke des Klangkörpers im Kraftwerk Mitte die Original-Orchestrierung, nachdem Larry Hochman die Broadway-Revival-Fassung von 2013 instrumentiert hatte.
Schwartz komponierte einen Anti-Candide: Pippin, der Sohn Karls des Großen, führt bis zu seinem Happy End an der Seite Katharinas ein scheußlich wüstes Leben. Doch anders als Candide, den aufgrund seiner Arglosigkeit unverschuldet ein Desaster nach dem anderen ereilt, mischt Pippin überall kräftig mit. Er stürzt sich in Orgien, tötet seinen Vater, macht auf Friedensfürst und Künstler, verheddert sich aber in politischem Schlamassel und sucht am Ende statt einer für Mitwelt und Nachwelt spektakulären Selbstverbrennung das kleine Glück an der Seite der Witwe Katharina. Schwartz’ Musik erfährt durch das Orchester der Staatsoperette und den versierten Dirigenten Peter Christian Feigel eine souveräne und vielleicht um einen Kick zu glatte Brillanz. Der Komponist agiert dialektisch: Parallel zur Schwärze von Pippins Taten setzen die Musik, die Gauklergruppe und die vier jede in ihrer Art anders emanzipierten Frauenfiguren einen glänzenden Rahmen um das brechtisch distanzierte Geschehen – Kerry Jean als Prinzipalin, Silke Richter als Pippins Stiefmutter Fastrada, Bettina Weichert als seine Großmutter Bertha und Sybille Lambrich als Pippins Geliebte Katharina.
Gero Wendorff als Pippin spielt eine Figur, welche die Umwelt und die eigenen Taten scannt, aber lange Zeit ohne Ahnung darüber bleibt, was sie mit diesen eingesaugten Datenmengen anfangen soll. Dafür ist Wendorff ein packender und persönlichkeitsstarker Darsteller, ohne aus dem Cast exaltiert herauszustechen. Markus Günzel als Karl der Große, Sascha Luder als Halbbruder Ludwig und die sich den Part von Katharinas Sohn Theo teilenden Izobel Mary Evans und Mathilda Steinacker bestätigen die hohe Kompetenz eines der wenigen Spezial-Repertoiretheater für Operette und Musical in Deutschland.
Roland Dippel