Zebeljan, Isidora

Pipe and Flamingos

Concerto for Clarinet and Orchestra, Partitur (Leihwerk)

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ricordi, Belgrad
erschienen in: das Orchester 10/2017 , Seite 66

Die serbische Komponistin Isidora Žebeljan, Jahrgang 1967, hat in Belgrad bei Vlastimir Trajkovic, einem Schüler Olivier Messiaens, Komposition studiert und ist seit 2002 dort selbst als Professorin für Komposition tätig. Sie hat internationale Bekanntheit vor allem durch ihre Bühnenwerke erlangt, von denen Zora D und die vom Musiktheater im Revier Gelsenkirchen in Auftrag gegebene einaktige Oper Simon der Erwählte (2009 in Essen uraufgeführt) zu erwähnen sind sowie die 2015 in Gelsenkirchen erstmals gespielte Oper Nahod Simon. Ihr Werkkatalog umfasst auch verschiedenartige Kammermusikwerke mit ei­ner Tendenz zu Werkreihen für verschiedene Besetzungen. Solokonzerte waren bislang kaum vertreten.
Zu einem Klarinettenkonzert hat sie der spanische Klarinettist Joan Enric Lluna angeregt, der das dreisätzige Werk 2016 uraufgeführt hat. Der Titel Pfeife und Flamingos geht auf die Werkidee zurück, die, wie Žebeljan erläutert hat, darauf beruht, dass die Pfeife (gemeint ist wohl die Rohrflöte) die Verkünderin der Wahrheit ist, die heute aber niemand mehr hören will, außer den stets tanzenden Flamingos. Weitere außermusikalische Beziehungen ha­be die Musik aber nicht. So erzeugt der ruhige Beginn mit Hörnern, Englischhorn und tiefen Streichern eine naturnahe Atmosphäre, bevor die Klarinette mit einem Rufmotiv und kantabler Melodik einsetzt. Plötzlich wird das Tempo verdoppelt und die Musik nimmt Fahrt auf, die Rhythmik wird im Orchestertutti zum wirkungsvollsten Parameter, gegenüber dem sich die Klarinette mit Glissandi in höchster Lage behaupten muss. Nach einem ersten Kulminationspunkt entsteht ein tänzerischer Teil mit prägnantem Klarinettenpart. Es werden Vierteltonschwebungen in den Streichern hörbar, die als tonmalerische Elemente der Flamingos gesehen werden können. Der zweite Satz folgt in fragilerer Klanglichkeit ohne Pause und bildet mit seiner stark zurückgenommenen Dynamik einen beschaulichen, aber klangfarblich reichen Ruhepunkt. Im ebenfalls attacca folgenden letzten Satz nimmt sowohl im Solopart als auch im Orchester die Virtuosität zu, die sich auch in einer ornamentreichen Melodik zeigt. Harmonisch reizt der Schlusssatz stellenweise die Spannung zwischen tonalen Begleitakkorden und Sekundreibungen aus und bei den Streichern treten clusterähnliche Passagen auf, die durch mehrfache Teilung und ausdifferenzierte Vierteltöne erzeugt werden. Die rhythmische Kraft dominiert und treibt das musikalische Geschehen bis zu einem furiosen Schluss voran.
Insgesamt ist der Formverlauf des Konzerts kleingliedrig mit wechselnder, markanter Motivik und häufigen Tempoänderungen. Žebeljans Tonsprache verzichtet mit Ausnahme des Glissandos auf weitergehende neuere Spieltechniken. Ihre Musik ist von ihrer Herkunft aus dem osteuropäischen Raum, dem Banat, geprägt, ohne dass dies durch zitathaftes Aufgreifen von Volksmusik erkennbar wird. Es ist der Geist der Musik und vor allem die rhythmische und ausdrucksmäßige Intensität, die dies vermitteln und den Hörer unmittelbar in den Bann ziehen.
Heribert Haase