Conlon Nancarrow/ Dominic Murcott / Dominic Murcott

Piece for Tape / Armed Response Unit

arrangiert für Schlagzeug solo / für Schlagzeug solo und Elektronik

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 11/2020 , Seite 64

Schon früh haderte der amerikanische Komponist Conlon Nancarrow (1912-1997) mit den spieltechnischen Begrenzungen seiner Interpreten. Nie waren sie ihm schnell genug, nie reichte ihre rhythmische Präzision zur Umsetzung seiner musikalischen Vorstellungen. Bevor er in der Folge dieser Unzufriedenheit gegen Ende der 1940er Jahre zu seinem kompositorischen Lebensthema, dem Selbstspielklavier, fand, musste er einiges ausprobieren. Er liebäugelte mit einem vollautomatischen mechanischen Orchester (was aus technischen Gründen scheiterte) und arbeitete experimentell mit Aufnahmeapparaturen.
Für die in diesem Zusammenhang entstandene Tonbandkomposition Piece for Tape nahm er Perkussionstöne auf und schnitt sie Ton für Ton zu einem ca. dreiminütigen virtuosen Perkussionstanz zusammen. Die schlechte Tonqualität eines jeden Einzeltons produzierte dabei eine dumpfe, aber äußerst reizvolle Klangästhetik, die mit Assoziationen an musikethnologische Feldforschung spielt.
Diese musikalische Miniatur übersetzte der englische Komponist und Musikwissenschaftler Dominic Murcott vor zehn Jahren in Zusammenarbeit mit dem Perkussionisten Joby Burgess in eine Live-Version. Dabei gingen Arrangeur und Interpret den Weg zurück von der Maschine zum Menschen, es entstand ein Schlagzeugsolostück für sechs Trommeln und einige Holzblocks. Das Stück ist einstimmig, es wirkt aber hochgradig polyfon aufgrund der hohen Spielgeschwindigkeit und der Schichtung verschobener Rhythmen. Erwartungsgemäß ist es sehr schwer zu spielen, wunderbar funktioniert es als kurzes Schlussfeuerwerk für ein Schlagzeugsolo-Recital. Dafür allein war es Dominic Murcott aber zu schade und so komponierte er ein Begleitstück für das Piece for Tape, in dem das gleiche Instrumenten-Setup mit Samples und Live-Elektronik ergänzt wird – die Technologie kam zurück ins Spiel.
Dieses achtminütige Stück Armed Response Unit arbeitet ähnlich mehrschichtig wie die Vorlage, beginnt aber deutlich langsamer und lässt sich in seinen musikalischen Prozessen mehr Zeit, sodass die bei Nancarrow immer nur kurz angespielten rhythmischen Motive in ihren Entwicklungsverläufen besser nachvollzogen werden können. Das elektronische Element kann bei Konzerten in zwei Varianten realisiert werden, der Schott-Verlag stellt in seiner wie stets sorgfältig aufbereiteten Edition die dafür nötigen Samples und das entsprechende MAX/MSP-Patch online zum Download zur Verfügung.
In der Kombination von originalem Tapestück, der Live-Variante und der Begleitkomposition sind im Konzert nun viele musikalisch sinnvolle Konstellationen denkbar. Ich kann mir vorstellen, mit dem Live-Nancarrow zu beginnen, dann das Werk von Murcott zu spielen und zum Abschluss das Original. Aber gerne auch einmal die synchrone Variante eines Wettrennens von Live- und Tape-Percussion, mittlerweile sind die Perkussionisten ausreichend schnell und präzise.
Stephan Froleyks