Modest Mussorgsky
Pictures at an Exhibition
Modern String Quartet: Joerg Widmoser und Winfried Zrenner (Violinen), Andreas Höricht (Viola), Thomas Wollenweber (Violoncello)
Vor 150 Jahren durchwanderte Modest Mussorgsky in St. Petersburg eine Gedenkausstellung mit Bildern seines im Vorjahr mit 39 Jahren verstorbenen Freundes, des Malers und Architekten Viktor Hartmann. Der kompositorische Widerhall, die halbstündige Klaviersuite Bilder einer Ausstellung. Wirklich einzigartig war Mussorgskys Idee, nicht nur zehn kontrastreiche Bildmotive in expressive Musik umzuformen, sondern „Promenaden“ vor- und zwischenzuschalten, die seinen eigenen Fußweg durch die Ausstellung, vor allem aber auch die seelischen Widerspiegelungen der Bilder im Betrachter andeuten – insofern entstand zusätzlich ein sechsteiliger, zwischen die Bilder eingestreuter Variationszyklus.
Das Modern String Quartett, bekannt für wagemutige Neudeutungen klassischer Werke und für das Bemühen, immer wieder Musik mit bildender Kunst zu verknüpfen, hat auf dieser CD Mussorgskys Zyklus transponiert, arrangiert, jazz-improvisatorisch erweitert, teilweise umgruppiert und um zusätzliche Stücke ergänzt – eine über reine „Neuinterpretation“ weit hinausgehende Neufassung in 15 Stücken von einer Stunde Dauer.
Da erscheint „Baba Jaga“ (bei Mussorgsky Nr. 9) schon nach dem „Alten Schloss“ (im Original Nr. 2), und „Bydlo“ (im Original Nr. 4) wird vor das abschließende „Große Tor von Kiew“ verlegt. Joerg Widmoser schaltet One more picture ein und arrangiert Lucky Man von Greg Lake (1947-2016), dem Gitarristen und Sänger der Rockformation Emerson, Lake and Palmer, die 1971 ebenfalls eine freie Bearbeitung der „Bilder“ herausgebracht hat. Andreas Höricht steuert El Anatsui bei, eine freie, „afrikanisch“ rhythmisierte Hommage an den 1944 geborenen ghanaischen Bildhauer. Relativ mussorgsky-nah bleibt Winfried Zrenner mit Modest Moves, einer (komponierten) Improvisation über das „Alte Schloss“.
Die bereits Ende 2021 in der Münchner Himmelfahrtskirche mit üppigem Hall aufgenommene (übrigens bookletfreie) CD besticht in vielen Bereichen: mit überraschenden, geschickten Übergängen aus Mussorgskys intensiver Tonsprache in Bebop-Rhythmik (und wieder zurück), mit orientalistischen Wendungen, mit bravourös ausgeführten Solostellen und mit Quartett-Disziplin.
Das Konzept kann nur teilweise überzeugen, nicht weil die einzelnen „Nicht-Mussorgsky-Teile“ uninteressant oder unvirtuos wären, sondern weil immerhin vier der Mussorgsky’schen Bilder unbehandelt bleiben: Tuileries, „Kücken-Ballett“, „Marktplatz von Limoges“, vor allem aber die „Catacombae“ und die daraus resultierende Promenaden-Reflexion „Cum mortuis“, die doch eigentlich hinsichtlich Mussorgskys Trauer das Intensitätszentrum des Werks ist. Allesamt Charaktere, die man sich gut in Streichquartett-Adaptionen vorstellen kann.
Rainer Klaas