Sommer, Hans

Piano Quartet / Piano Trio / Gavotte / Romance / Vanished Joy

Trio Imàge: Gergana Gergova (Violine), Thomas Kaufmann (Violoncello), Pavlin Nechev (Klavier); Hartmut Rohde (Viola)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Avi-Music 42 60085533299
erschienen in: das Orchester 09/2016 , Seite 75

Was macht einen Komponisten berühmt? Oder anders herum: Welche Faktoren können dazu führen, dass ein Komponist und sein Werk dem Vergessen anheimfallen? Gewiss: Diejenigen, die „oben“ stehen, tun dies nicht zu Unrecht. Unterhalb des Netzes, das unser gängiges Repertoire hält, existiert jedoch eine Fülle hervorragender Musik, deren Vita schlicht unter weniger günstigen Sternen stand und die insofern den Sprung nach oben – will sagen: ins allgemeine Bewusstsein der musikliebenden Welt – nie geschafft hat. Konkret: Niemand wird den exzeptionellen Rang etwa der Kammermusik von Brahms bezweifeln wollen. Dass die Kammermusik seines Zeitgenossen Hans Sommer heute völlig unbekannt ist, muss hingegen als Ungerechtigkeit der Geschichte betrachtet werden.
Allein für die Vermittlung dieser Erkenntnis gebührt der vorliegenden CD-Produktion Lob und Anerkennung. Sie präsentiert uns Hans Sommer (1837-1922) als einen technisch versierten und überdies fantasievollen Komponisten, dessen Musik weitere Wiedererweckungen unbedingt verdient. Erst als Mittvierziger vollzog Sommer den Schritt, sein Leben fortan allein der Musik zu widmen, nachdem der studierte Mathematiker zuvor als Direktor der Technischen Hochschule seiner Heimatstadt Braunschweig gewirkt hatte. Bei Franz Liszt ging er nochmals in die Lehre, er lebte vorübergehend in Berlin, betätigte sich auch als Musikschriftsteller und gehörte 1898 zusammen mit Richard Strauss zu den Begründern der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer, einer Institution, die sich nachdrücklich für die Wahrung des geistigen Eigentums Musik einsetzte. Als Lied- und Opernkomponist brachte es Hans Sommer zu einigem Renommee, doch schon in seinen letzten Lebensjahren dürfte seine Musik weitgehend vergessen gewesen sein.
Welch überzeugender Nachweis musikalischer Intelligenz, dass das junge Trio Imàge seine Karriere nicht mit Aufnahmen der Standard­werke, sondern – nach seiner hochdekorierten, spektakulären Aufnahme der Klaviertrios von Mauricio Kagel – nun mit Ersteinspielungen von Werken eines unbekannten Romantikers flankiert! Im Spiel dieser 2008 gegründeten, exzellenten Formation verbinden sich Klangfülle, Transparenz und lebendige Phrasierung zu perfekter Harmonie. Die beiden Streicher – Gergana Gergova und Thomas Kaufmann – kontrapunktieren einander in blühendem Ton, der sich mit der subtilen Klangkultur des Pianisten Pavlin Nechev in idealer Weise verbindet. Außer dem viersätzigen Klaviertrio (Mendelssohn lässt als musikalischer Pate des Scherzos grüßen) enthält die CD ein namentlich im Kopfsatz recht schumanneskes Klavierquartett – zu den Musikern des Trio Imàge gesellt sich hier der renommierte Bratschist Hartmut Rohde – sowie drei ausdrucksvolle Petitessen für Violine und Klavier, deren letzte – Entschwundenes Glück, komponiert 1921 – die ganze Melancholie eines unzeitgemäßen Spätromantikers enthüllt.
Gerhard Anders