Ludwig van Beethoven

Piano Concertos

Sophie-Mayuko Vetter (Klavier), Symphoniker Hamburg, Ltg. Peter Ruzicka

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics
erschienen in: das Orchester 02/2020 , Seite 66

Über Rekonstruktionen von unvollständig überlieferten Musikwerken gibt es geteilte Meinungen. Der spannenden Frage: „Was wäre, wenn ein Komponist dieses Werk vollendet hätte?“, steht die ernüchternde These gegenüber: „Würde das Werk überhaupt so klingen?“ Besonders bei Beethoven, der seine Partituren oft vielfach überarbeitete, scheint dies problematisch. Abgesehen davon kann keine musikwissenschaftliche und kompositorisch gut gemeinte Akribie in den Kopf eines Genies blicken.
Diese CD der Pianistin Sophie-Mayuko Vetter, und der Symphoniker Hamburg unter Leitung von Peter Ruzicka bietet weiteren Diskussionsstoff. Auf ihr findet sich die Ersteinspielung eines Satzes aus Beethovens sechstem Klavierkonzert D-Dur. In den Jahren 1814 und 1815 wurden Teile davon fixiert. Dann blieb das Projekt liegen. Nichts Ungewöhnliches. Interessant sind die Skizzen, da sie neben der Klavierstimme auch noch ein 256-taktiges Partitur-Autograf enthalten. Das und vieles andere erklärt Klaus Stübler im informativen Booklet. Das Werk erklingt in der Rekonstruktion des britischen Musikwissenschaftlers von Nicholas Cook, dem der Musikwissenschaftler, Komponist und Musikverleger Hermann Dechant noch eine Solo-Kadenz und einen neuen Schluss einfügte.
Der Ton des Werks ist ausgesprochen hymnisch und weiträumig. Das sechste Klavierkonzert schließt sich dem Stil des zuvor komponierten fünften Konzerts durchaus an. Das zeigt sich bereits in der Solo-Kadenz vor der Orchestereinleitung. Hier und da erinnern Passagen auch an die neunte Symphonie. Ob es sich bei diesem Torso um ein geplantes einsätziges Konzert handelt, wie Dechant vermutet, ist kaum zu klären.
Sophie-Mayuko Vetter und die Symphoniker Hamburg spielen das Werk kompetent, insgesamt vielleicht eine Spur zu nüchtern. Das Projekt und nicht die Interpretation stehen im Vordergrund.
Sinnvoll wird die Aufnahme ergänzt mit einem weiteren unbekannten Kandidaten aus Beethovens Werkverzeichnis: dem frühen Es-Dur-Klavierkonzert Es-Dur WoO 4. Der Beethoven-Forscher Willy Hess hat das Werk nach dem erhaltenden Klavierauszug (mit Instrumentations-Angaben) 1934 und 1943 rekonstruiert. Der Pianist Edwin Fischer führte das dreisätzige Werk 1943 in Potsdam erstmals auf. Beethoven schrieb dieses Klavierkonzert als Teenager in Bonner Zeiten.
Sophie-Mayuko Vetter musiziert es auf einem Broadwood-Flügel aus dem Jahr 1806. Ihre schlüssige und virtuose Interpretation klingt viel engagierter als die des D-Dur-Fragments, das sie auf einem modernen Steinway spielt. Auch das Orchester interagiert deutlich lebendiger und sensibler (Mittelsatz). Dieses Konzert sollte häufiger im Konzertsaal erklingen. Es verrät viel von Beethovens frühem Stil und ist eine vollwertige Ergänzung der fünf bekannten Konzerte.
Mit dem bereits in Bonner Tagen geplanten zweiten Klavierkonzert op. 19 wird diese CD aus dem Hause Oehms Classics abgerundet. Sie bildet einen wichtigen Beitrag zum Beethoven-Jahr 2020. Der editorische Wert ist daher hoch.
Matthias Corvin

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