Paul Constantinescu

Piano Concerto/Wedding in the Carpathians

Oliver Triendl (Klavier), Norddeutsche Philharmonie Rostock, Ltg. Marcus Bosch

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Hänssler Classic
erschienen in: das Orchester 10/2024 , Seite 73

Welche rumänischen Komponisten kennen Sie? Bei dieser Frage denkt man sofort an George Enescu, doch weitere Namen wollen sich nicht gleich einstellen. Vielleicht kommt einem noch, wenn man in zeitgenössischer Musik bewandert ist, die Komponistin Violeta Dinescu in den Sinn. Aber nur wenige werden bereits Musik von Paul Constantinescu begegnet sein. Der 1909 Geborene fiel zunächst als talentierter Geiger auf, studierte dann in Bukarest und Wien Dirigieren und Komposition, bevor er ab 1937 in seiner Heimat eine vielfältige Tätigkeit als Hochschullehrer, Chorleiter, Dirigent und Rundfunkredakteur ausübte.
Sein Interesse an der rumänischen Volksmusik und an der byzantinischen Kirchenmusik (welche er bei Egon Wellesz studierte) hat unverkennbar die Musiksprache Constantinescus geprägt, wobei Letztere vor allem in dessen Weihnachts- und Osteroratorium im Mittelpunkt steht. Ihre Spuren sind aber auch in Constantinescus 1952 komponiertem Klavierkonzert zu entdecken, das auf der vorliegenden CD von der Norddeutschen Philharmonie Rostock unter Leitung von Marcus Bosch eingespielt wurde. Die dreisätzige Formanlage der klassischen Tradition mit Allegro-Kopfsatz, langsamem Mittelsatz und Rondo bleibt äußerlich gewahrt. Doch im Innern herrscht eine ungewohnte modale Klangsprache mit folkloristischen Anklängen im Finale, das eine der einst von Béla Bartók gesammelten rumänischen Tanzmelodien zitiert. Den Solopart gestaltet der immer wieder für musikalische Neuentdeckungen offene Pianist Oliver Triendl, der sich gleich mit Aplomb in der fanfarenhaften Einleitung des Kopfsatzes vernehmen lässt, später mit einer Solokadenz brilliert, aber im Andante (im Stil einer melancholisch „Doina“) auch sehnsuchtsvollen Gesang ertönen lässt.
Zweites Werk auf dieser CD ist Constantinescus 1938 entstandenes Ballett Hochzeit in den Karpathen, das damals noch existierendes dörfliches Brauchtum in entlegenen Gebirgsregionen schildert. Die ebenso kurzen wie kurzweiligen Abschnitte der aus der Ballettmusik zusammengestellten „Symphonischen Suite“ spiegeln das wider: Sie tragen Bezeichnungen wie „Hora“ (ein rumänisches Tanzlied), „Alaiul“ (Prozession) oder „Jocul“ (Spiel). Vom Sujet her und in manchen rhythmisch akzentuierten Passagen fühlt man sich an Strawinskys Les Noces erinnert, doch wo Strawinsky altrussische Hochzeitsbräuche mit reduzierten Klangmitteln quasi in schwarz-weißen, holzschnittartigen Konturen zeichnet, entfaltet Constantinescus Partitur eine üppige Koloristik, die stilistisch mehr als einen Blick zurück zu Spätromantik und Impressionismus wirft. Entsprechend schwelgerisch interpretieren Marcus Bosch und die Norddeutsche Philharmonie die Partitur, die mit ihren fremden Tonskalen und ihrer melismenreichen Melodik exotischen Reiz verströmt.
Gerhard Dietel