Reger, Max / Johann Sebastian Bach/Ferruccio Busoni

Piano Concerto / Piano Concerto after BWV 1052

Rubrik: CDs
Verlag/Label: cpo 777 373-2
erschienen in: das Orchester 11/2009 , Seite 72

Max Regers Klavierkonzert op. 114 ist ein ungeliebter Koloss und man begegnet ihm nur sehr selten einmal im Konzertsaal. Seine sinfonische Dimension mit immerhin 40 Minuten Spielzeit, das technische Niveau des Soloparts, der zudem nahezu pausenlos durchgeht, und die interpretatorischen Herausforderungen (etwa die dynamische Differenzierung des Orchesterapparats) machen aus ihm eine Partitur, die nicht nur genaueste Phrasierung und eine gewisse Ausdauer verlangt, sondern auch engagierte Musiker – die Uraufführung am 15. Dezember 1915 endete ebenso im Fiasko wie fünfzig Jahre zuvor die des d-Moll-Konzerts von Brahms, auf das sich Reger musikalisch bezieht.
So mussten auch 21 Jahre vergehen, bis nach der Aufnahme des Werks mit Gerhard Oppitz (in der legendären Reihe der Reger-Einspielungen mit den Bamberger Symphonikern unter Horst Stein) eine Neuproduktion erschien. Um es gleich zu sagen: Es handelt sich in nahezu jeder Beziehung um eine brillante Produktion, die kaum Wünsche offen lässt. Da wäre zunächst der von Michael Korstick intelligent gestaltete und wirklich zum Klingen gebrachte Solopart, dann das von Ulf Schirmer mit sicherer Hand durch das Stück geführte und auf höchstem Niveau aufspielende Münchner Rundfunkorchester, eine angenehm räumliche Akustik, in der sich alle instrumentalen Facetten der Komposition ausbreiten, und schließlich ein bemerkenswert informatives Booklet.
Doch damit nicht genug, bietet diese CD eine wirkliche Überraschung, die vielleicht weniger als Repertoire-Erweiterung, jedoch als ein Stück klingende Interpretationsgeschichte anzusehen ist, ohne selbst historisch zu sein: Gemeint ist die Einspielung der von Ferruccio Busoni 1899 als „freie Bearbeitung“ veröffentlichten Einrichtung des Konzerts d-Moll für Clavier und Streicher BWV 1052 von Johann Sebastian Bach. Freilich mag der diskophile Kenner die Stirn runzeln und auf Edwin Fischers Aufnahme aus den 1930er Jahren verweisen, die mehrfach auf CD erschien (aber nurmehr antiquarisch zu haben ist) und eindrucksvoll deutlich macht, wie lange das Werk in eben dieser Bearbeitung noch gespielt wurde.
Die vorliegende Neuproduktion leistet gleichwohl mehr: Da sie keine historische Interpretation dokumentiert, gibt sie den Blick frei auf Busonis Bearbeitungsverfahren an sich – in einer für heutige Ohren unverstellten Klangqualität. Und doch schwingt auch hier ein wenig von der Geschichte mit, denn Michael Korstick machte während seines Studiums in New York Bekanntschaft mit dem letzten damals noch lebenden Busoni-Schüler Edward Weiss (geb. 1892), von dem er Hinweise über Busonis Vorstellungen von Tempo und Phrasierung, Klanggestaltung und Pedalgebrauch erhielt.
Michael Kube