Viktor Ullmann
Piano Concerto op. 25/Piano Sonatas No. 3 & 7
Annika Treutler (Klavier), Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Ltg. Stephan Frucht
Ein Scherzo, im Ausdruck der Tradition folgend, in der Tonsprache modern: das „Allegretto grazioso“ aus der 7. Klaviersonate von Viktor Ullmann. Einem springlebendigen A-Teil, listig und schalkhaft im Charakter, folgt ein B-Teil, in dem die muntere Laune einem gelassenen Schwung weicht. Und die zuerst raue, mit Dissonanzen gewürzte Harmonik macht einer üppigen, spätromantischen Klangsprache Platz. Die passende Umgebung, um ein Motiv aus Richard Heubergers 1898 geschriebener Operette Ein Opernball zu zitieren. Ullmann leistet sich einen Blick zurück – nicht den einzigen in dieser Sonate (die letztlich wohl als Sinfonie geplant war). Im Schlusssatz, den „Variationen und Fuge über ein hebräisches Volkslied“, ruft er neben dem Material des Volkslieds noch den protestantischen Choral Nun danket alle Gott, den Hussitenchoral Die ihr Gottes Streiter seid und schließlich noch das „B-A-C-H“-Motiv herbei. Vielleicht eine Art Vermächtnis. Denn Ullmann schrieb seine 7. Sonate 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt, dem von den Nationalsozialisten für Propagandazwecke einrichteten Vorzeigelager, in dem sich jüdisches Leben angeblich frei entfalten konnte. Ullmann wurde hier sogar Leiter des „Studios für Neue Musik“. Er hat offenbar bis zuletzt nicht den Glauben an das Gute im Menschen und an die lebensbejahende Kraft der Kultur verloren. 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, zwei Jahre später, im Oktober 1944, zusammen mit seinen Komponistenkollegen Pavel Haas und Hans Krása nach Auschwitz verlegt, wo er kurz darauf ermordet wurde. Die CD enthält von Ullmann die zwei Klaviersonaten Nr. 3 und Nr. 7 und das Klavierkonzert op. 25. Die frühere Sonate (1939) und das Konzert (1940) fallen in eine Phase, in der sich Ullmanns Leben verdüsterte. Als die Nazis 1939 Prag besetzten, durfte der Komponist, der auch als Dirigent und Musikjournalist arbeitete, nicht mehr öffentlich in Erscheinung treten. Von diesen widrigen Umständen ist weder in den Klaviersonaten noch im Klavierkonzert etwas zu vernehmen. Stattdessen hört man Vitalität, Spielfreude, Witz, aber auch elegische Wendungen, die aber nie in schwarzen Pessimismus kippen. Der Kopfsatz des Konzerts etwa betört durch Elan und rhythmische Prägnanz, das „Andante tranquillo“ durch schwärmerische, glutvolle, manchmal aber auch entrückte Töne und eine wunderbare Farbpalette. Originell und überaus geistreich schließlich die Variationen über das ganz frühe Allegro in B-Dur KV3 von Mozart als Schlusssatz der dritten Sonate. Die CD entstand in Kooperation zwischen Siemens Arts Program und Deutschlandfunk Kultur anlässlich des 75. Gedenktags der Befreiung des KZ Auschwitz. Die glänzende Pianistin Annika Treutler und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Leitung von Stephan Frucht rücken den Facettenreichtum von Ullmanns Musik in bestes Licht, auch dank einer vortrefflichen Aufnahmetechnik (3D-Immersive Audio). Mitgeliefert wird das Ganze zudem als Blu-Ray-Disc. Insgesamt ein überzeugendes Plädoyer für einen immer noch zu wenig gespielten Komponisten.
Mathias Nofze