Georgi Catoire

Piano Concerto op. 21/Piano Quintet op. 28/Piano Quartet op. 31

Oliver Triendl (Klavier), Vogler Quartett, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Ltg. Roland Kluttig

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio
erschienen in: das Orchester 07-08/2021 , Seite 72

Es gibt drei verschiedene Komponistentypen: diejenigen, deren Werke im Repertoire gepflegt werden, jene, die fast nur in musikhistorischen Darstellungen Erwähnung finden und die Unbekannten. Für das Russland der vorletzten Jahrhundertwende könnten Alexander Skrjabin für den ersten, Sergei Tanejew den zweiten und Georgi Catoire für letzteren Typus stehen.
Um Catoires Werk macht sich die Pianistin und Musikwissenschaftlerin Anna Zassimova verdient, u.a. mit einer Monografie, der Veröffentlichung des Briefwechsels mit Tschaikowsky sowie CD-Einspielungen. Auch den Begleittext zu diesem Album hat sie beigesteuert.
Catoire stammte aus einer lothringischen Händlerfamilie, die um 1800 nach Russland auswanderte. Dem 1861 in Moskau Geborenen wurde es ermöglicht, sich musikalisch zwischen Russland und Westeuropa zu bewegen. Klavierunterricht erhielt er bei Karl Klindworth, besuchte die Bayreuther Festspiele, war u.a. Kompositionsschüler von Rimskij-Korsakow. Catoire schloss zunächst ein Mathematikstudium ab, ehe er sich auf Anraten Tschaikowskys auf die Musik konzentrierte. 1917 übernahm er eine Professur in Moskau. Sein Werkkatalog enthält Klavierwerke, Lieder, Chöre, Kammermusik, ein Klavierkonzert, eine Sinfonie und eine Kantate.
Der sich im Schwerpunkt vergessenen Werken widmende Pianist Oliver Triendl ist als Solist wie auch Kammermusikpartner des Vogler Quartetts an allen Werken dieses Albums beteiligt. Gemeinsam interpretieren sie diese Werke mit emotionaler Kraft und zugleich nicht zu breitem Ton, stets mit sicherem Blick auf die Balance. Das RundfunkSinfonieorchester Berlin unter Leitung von Roland Kluttig begleitet klangsinnlich ohne Übertreibungen.
Das Klavierquintett op. 28 in g-Moll (1914) zeigt für Catoire typische Merkmale: eine melancholische Grundierung, Entwicklung der Formverläufe aus Grundmotiven, überwiegend lineare Stimmführung, dichte Faktur des Satzes. Die Sonatenform des ersten Satzes bleibt durch eine Technik des permanenten Wachsens und Entwickelns fast versteckt. Beim Klavierquartett in a-Moll (1918) ensteht, u.a. durch übermäßige Dreiklänge als auch Umdeutungen von Vorhaltstönen, eine vagierende Harmonik, die zu unerwarteten Klangverbindungen führt. Ungewöhnlich im Klavierkonzert in As-Dur op. 21 (1909) ist die Behandlung des Soloinstruments: Der Klavierpart ist oft eingewoben in den Gesamtklang oder erscheint in rhapsodischen Stellen fast unbegleitet. Ungewöhnlich ist auch die formale Gestaltung des Kopfsatzes als Variationenfolge.
Die Musik Catoires ist strukturell und formal nicht leicht zugänglich. Stilistisch bewegt er sich zwischen Spätromantik, Jugendstil und Impressionismus. Trotz Assoziationen an Brahms, Liszt, Fauré oder Debussy haben diese Stücke etwas Eigenes. Catoire ist eine Entdeckung für Hörer, die eine Ergänzung zum gängigen Repertoire begrüßen: Sie können sich freuen auf eine farbenprächtige und klischeefreie Musik des Fin de Siècle.
Christian Kuntze-Krakau