Nikolai Kapustin

Piano Concerto Nr. 4/Double Concerto/Chamber Symphony

Frank Dupree (Klavier), Rosanne Philippens (Violine), Württembergisches Kammerorchester, Ltg. Case Scaglione

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Capriccio
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 73

Wer immer noch eine Trennungslinie zwischen klassischer Musik und Jazz sehen sollte, dem ist die Musik des im Jahr 1937 in der Ostukraine geborenen Nikolai Kapustin nicht vertraut. Was Gershwin schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgreich geschafft hat, liegt ebenfalls in Kapustins Intention. In seiner Musik verschmelzen traditionelle klassische Elemente nahtlos mit vitalem Jazz. Schade nur, dass diese fantastische Einspielung erst in dessen Todesjahr (2020) während des zweiten Lockdowns entstanden ist und er selbst an dieser außergewöhnlichen internationalen Referenz seiner sinfonischen Musik nicht mehr teilhaben kann.
Der 30-jährige Pianist Frank Dupree spielt einen ausgezeichneten Klavierpart bei Kapustins viertem Klavierkonzert. Mit bestechender Virtuosität und brillantem Anschlag bringt er die vorwärtsdrängende Rhythmik und die halsbrecherischen Klanggirlanden atemberaubend zur Geltung. Diese harmonisch farbenreiche Musik begeistert mit ihren zahlreichen Tempo- und Rhythmuswechseln. Die vitale Rhythmik, hervorragend unterstützt vom Schlagzeuger Meinhard Jenne, überrascht immer wieder, lädt zum Swingen ein und fasziniert in ihrer Vielgestaltigkeit.
Beim 2002 komponierten dreisätzigen Konzert für Violine, Klavier und Streichorchester kommt mit Rosanne Philippens eine kongeniale Partnerin hinzu. Ihr kerniges Violinspiel tritt in einen kontrastreichen Dialog zum Soloklavier. Der Ton ist ausgesprochen flexibel und manchmal mit kleinen, stilistisch passenden Portamenti versehen. Im lyrischen zweiten Satz erreicht ihr Spiel ein besonders ausdrucksvolles und zu Herzen gehendes Parlando.
Bei der ebenfalls dreisätzigen Kammersinfonie übernimmt Frank Du-pree selbst das Dirigat und dazu noch das Vibrafon. Hier zeigt das Württembergische Kammerorchester Heilbronn, wie schon bei den beiden vom Chefdirigenten Case Scaglione souverän geleiteten Solokonzerten, enorme Klangpräsenz und Spielfreude. Die instrumentalen Soli kommen genauso gut zur Geltung wie der rhythmisch klare und homogene Zusammenklang. Und am brillanten Ende der vorwärtsdrängenden Toccata weiß man, dass jede einzelne Minute dieser gut einstündigen CD ein bekennendes Plädoyer für die schillernde und mitreißende Musik Nikolai Kapustins ist.
Tonmeister Bernhard Hanke sorgt für einen klaren Klang, in welchem die orchestralen Soli gut herausgestellt werden. Solovioline und Flügel sind exponiert und gleichzeitig gut abgemischt zum homogenen Gesamtklang.
Das zweisprachige Booklet enthält ausführliche Informationen zum Komponisten, den Solisten und dem Dirigenten. Im Gespräch mit dem Textautor Christian Heindl bekennt Dupree: „Je mehr ich mich mit Kapustin beschäftige, desto hungriger werde ich nach seiner Klavierliteratur.“ Bei diesem hervorragenden Niveau darf man mit Spannung erwarten, welche weiteren Projekte in dieser Richtung kommen werden.
Christoph J. Keller