Johannes Brahms

Piano Concerto No. 1/ Six Piano Pieces

Sunwook Kim (Klavier), Staatskapelle Dresden, Ltg. Myung-Whun Chung

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Accentus Music
erschienen in: das Orchester 04/2021 , Seite 69

Schumann hatte dem jungen Brahms Mut gemacht, seinen bisherigen Klavierstücken und Kammermusikwerken nun eine Sinfonie folgen zu lassen. In dessen jüngster Sonate für zwei Klaviere, entstanden aus Brahms’ Skizzierung einer Sinfonie, versicherte Schumann ihm das sinfonische Potenzial. Brahms machte sich zögerlich an die Ausarbeitung und Instrumentierung, doch er verwarf den Gedanken alsbald für mehrere Jahre wieder. Erst nach Schumanns Tod nahm er das Vorhaben wieder auf und entschloss sich, die Sonate zu einem Klavierkonzert umzuarbeiten.
Es entstand daraus sein d-Moll-Konzert op. 15, das nun in einer neuen Einspielung mit dem koreanischen Pianisten Sunwook Kim und seinem Landsmann Myung-Whun Chung am Dirigentenpult der Staatskapelle Dresden vorgelegt wurde. Die Neuartigkeit der musikalischen Struktur und die sinfonische Faktur des Werks, die seinerzeit bei Brahms’ ersten öffentlichen Aufführungen das Publikum befremdeten und enttäuschten – man hatte einmal mehr einen Wettstreit zweier Partner, auf der einen Seite das Orchester, auf der anderen einen virtuosen Solisten erwartet –, haben Pianist und Dirigent dieser Einspielung sehr ernst genommen. Dem paukengestützten Hauptthema des Eröffnungssatzes, nur vom Orchester vorgetragen, fehlt es zwar keineswegs an höchster Dringlichkeit, doch einer entsprechend virtuosen Antwort im Klaviersatz verweigert sich Brahms. Das Konzert räumt dem Klavier den Part eines gewichtigen Instruments im Orchestersatz ein, nicht aber dessen Dominanz.
Andere Interpreten gaben diesem kompositorischen Gedanken bisher bei Weitem nicht so überzeugend und ungemein einnehmend Raum wie nun Sunwook Kim und Myung-Whun Chung in ihrem Konzertmitschnitt vom September 2019 im Seoul Arts Center. Da zeigt die in ihrem Beginn energiegeladene Orchestereinleitung zugleich eine herausragende Transparenz und in der weiteren Entwicklung eine sensible Auslotung der nuanciert und weich ausgeleuchteten Phrasenzeichnung, in die sich das Klavier mit leichter, lebendiger Anschlagskultur voller agogischen Spannungsreichtums wie ebenso einer dank dynamischer Zurückhaltung vorzüglichen Balance zum Orchester einfügt.
Die feinfühlige Biegsamkeit der Interpreten und das ebenmäßig ausgeleuchtete Miteinander von Holzbläsern und Klavier zeitigt ein phänomenal empfindungsreiches, klangliches Strömen. Auch wenn die Partitur einen kraftvolleren Gestus fordert, bleibt die Zeichnung doch immer schlank und durchsichtig. Der zweite Satz besticht durch größtmögliche Ruhe und einen unendlichen Schattierungsreichtum, der bis in die feinsten pp-Bereiche vordringt, der abschließende dritte Satz durch die Akkuratesse wie eine vollkommen natürlich bleibende, nie aufgesetzt wirkende agogische Nachgiebigkeit des melodischen Flusses.
Die dem Konzert angefügten Sechs Klavierstücke op. 118 lassen in der hoch differenziert und tief in deren Struktur eindringenden Herangehensweise Sunwook Kims wie nicht anders zu erwarten das gleiche Höchstmaß an Feinfühligkeit erkennen.
Thomas Bopp