Auli Eberle (Hg.)
Peter Ruzicka
Komponist, Dirigent, Intendant, Weggefährte. Passagen – ins Innere
Als promovierter Jurist, Experte für Urheber- und Leistungsschutzrecht, ehemaliger Intendant des RSO Berlin, der Hamburgischen Staatsoper, der Münchner Biennale und der Salzburger Festspiele nahm der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka einflussreiche Positionen im Wirkungsgefüge des bundesdeutschen Musiklebens ein. Als Künstler durch handwerkliche Akribie und schöpferischen Selbstzweifel beglaubigt, als Lenker, Mittler und Förderer im musikkulturellen Funktionssystem geachtet, verschaffte er seinen Werken nicht nur komfortable Aufführungsbedingungen. Er sorgte auch für die förderliche publizistische „Begleitmusik“.
Seine Texte in eigener Sache vermitteln seinem Schaffen eine Aura kulturkritischer Bedeutsamkeit. Im Umgang mit Referenzwerken der Vergangenheit legt er eine habituelle Berührungsscheu an den Tag, die sich oft schon in den Werktiteln andeutet: Erinnerungen, Nachklänge, Nachzeichnung, Annäherung und Entfernung, Übermalungen, späte Gedanken… Wobei ihn die Leidensfiguren und Wundmale der jüngeren Kulturgeschichte magisch anziehen.
Zum 70. Geburtstag gab ihm die Edition Text + Kritik neuerlich Gelegenheit zur literarischen Vermittlung seiner selbst. Seine früheren Schriftensammlungen Erfundene und gefundene Musik (1998) und Ins Offene (2009) ergänzend, entwirft er hier eingangs unter dem von Paul Valéry entliehenen Dreipünktchen-Titel …possible à chaque instant… ein drittes kompositorisches Selbstporträt. Es betrifft seine jüngste, von öffentlichen Ämtern weitgehend befreite Schaffensphase von 2009 bis 2018: von den fünf Nachschriften zur ersten Oper Celan und zwei Vorstudien zur dritten Oper Benjamin, die unter dem Eindruck von Nahtod-Erfahrungen eines „Komponistenkollegen“ (Henze?) entstanden, bis zum jüngsten Streichquartett, das er mit dem erwähnten Valéry-Zitat überschrieb. Es trifft einen Gedanken, der ihn seit Langem beschäftigte: „Anstelle der Illusion einer einzigen, das Wirkliche nachahmenden Bestimmung diejenige des ‚in jedem Augenblick Möglichen‘ zu setzen.“
„Eine solche reflexive Beobachtung setzt für mich Beethovens Streichquartett op. 131 frei“, bekennt der Jubilar: „ein singuläres Werk, das beständig auf einen ‚Möglichkeitshorizont‘ verweist.“ Im siebten Streichquartett spreche er vielfach „in Möglichkeitsform über Fragmente aus der Zukunft‘“ – eine kompositorische Selbsterfahrung, die nicht auf die Ganzheit des Stücks gerichtet sei, sondern seinen prozesshaften Verlauf spiegele.
Eine Reihe erhellender Werkbetrachtungen und kompositionsästhetischer Erörterungen ihm zugeneigter Autoren füllt den Kernteil des Bandes – darunter der Beitrag „Komponieren im Konjunktiv? Oder: Peter Ruzickas französische Inspirationen“ von Habakuk Traber und Peter Beckers Einsichten zur „Verwandlung und Anwandlung“ in den Metamorphosen über ein Klangfeld von Joseph Haydn. Es folgen mehr oder minder geistreiche „Umblicke“, die Ruzicka ins Gespräch ziehen und als Brückenbauer würdigen, nebst Huldigungen beglückter Freunde und Weggefährten.
Lutz Lesle