Wolfgang Fuhrmann/Claus-Steffen Mahnkopf (Hg.)

Perspektiven der Musikphilosophie

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Suhrkamp
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 63

Der Musik geht es gut und schlecht zugleich im Land der Dichter und Denker. Wie das? „In keinem anderen Kulturraum“, schreibt Wolfgang Fuhrmann, Professor für Musikphilosophie in Leipzig und Herausgeber des vorliegenden Bandes, „werden so viele ideelle und vor allem materielle Ressourcen in das Konzert- und Opernleben investiert.“ Zugleich konstatiert Fuhrmann einen „Unwillen zur Reflexion“, als solle Musik „vor ihrer Theoretisierung, […], vor einer Art ,philosophischer Zurichtung‘ geschützt werden“.
Das sei keineswegs ein neues Phänomen: Als Gegenstand der Ästhetik habe die Musik stets im Schatten von Literatur und bildender Kunst gestanden. Daran hätten auch gewichtige Beiträge wie die von Eduard Hanslick, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche oder, um nach Frankreich zu schauen, Vladimir Jankélévitch (La musique et l’ineffable) nichts geändert. Selbst die musikphilosophischen Schriften von Theodor W. Adorno blieben ein singulärer, gleichwohl überaus einflussreicher Solitär. Erst in den späten 1990er Jahren habe sich, ausgehend vom angelsächsischen Raum, auch in Deutschland die Disziplin der Musikphilosophie etabliert.
Gleichwohl stellte 2019 eine Tagung an der Leipziger Musikhochschule die Frage „Was ist Musikphilosophie?“ Antworten oder besser: Antwortversuche versammelt der vorliegende Band, der die Tagungsbeiträge enthält. Gegliedert ist er in die Abteilungen „Grundlegung“, „Sinn und Verstehen“, „Musik und Sprache“, „Musikalische Theorie und Praxis“ sowie „Kategorien“. Zuvor hält Fuhrmann in einer ausgiebigen Einleitung fest, dass die Musikwissenschaft die Musikphilosophie heute „vielleicht dringlicher denn je“ benötige. Grund sei eine „krisenhafte Neuorientierung“ der Musikwissenschaft, die sich auf theoretische und methodische Grundlagenfragen erstrecke. Zwei Parteien stünden sich, krass vereinfachend gesagt, gegenüber: Die eine versteht Musik weiterhin als autonomes Gebilde, als Text, als „Kunst“ im Unterschied zu „Nicht-Kunst“. Die andere möchte den Gegenstand Musik „auflösen“ in Diskurse und kulturelle Praktiken. Vor diesem Hintergrund behandeln die einzelnen Aufsätze Grundsätzliches, und zwar – ganz wie es sich für Philosophen gehört – mit fein austarierten Argumentationen.
Das Themenspektrum ist außerordentlich breit und kann hier nur angedeutet werden. Diskutiert wird zum Beispiel ein „antiessentialistischer“ Musikbegriff, der noch über die Vorstellung von Musik als „organisierter Klanglichkeit“ hinausgeht. Oder das Problem musikalischen Verstehens als „Nachvollzug“ (im Unterschied zum Erfassen einer Bedeutung). Oder Möglichkeiten und Grenzen einer Sprachähnlichkeit von Musik. Auch die musikalische Praxis erfährt Beachtung, etwa mit dem Konzept einer „Auragogik“, ausgehend von Gernot Böhmes Philosophie der Atmosphäre. Von sperrigen Begriffen sollte man sich nicht abschrecken lassen. Zwar verlangen die Essays den Lesern und Leserinnen einiges ab, doch es lohnt sich, seine eigene musikalische „Hausphilosophie“ einmal auf den Prüfstand zu stellen.
Mathias Nofze