Matthias Handschick/Karolin Schmitt-Weidmann (Hg.)

Performance – Interaktion – Vermittlung

75 Tagungen des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt 1948-2022

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 12/2022 , Seite 61

Das Darmstädter Institut für Neue Musik und Musikerziehung ist im Laufe seiner Geschichte zu ­einer nicht mehr aus dem Musikleben wegzudenkenden Institution geworden, die ihrem Auftrag treu geblieben ist, ohne sich den Wandlungen der Musikszene und den Bedürfnissen ihrer Rezipient:innen und der mitwirkenden Musiker:innen zu verschließen. Unter den Stichwörtern von Performance, Interaktion und Vermittlung würdigt ein Jubiläumssonderband diese Entwicklungen von den jugendmusikalischen Anfängen bis in die offene und diverse Gegenwart mit ihrer Öffnung zu HipHop, Jazz, nicht-westlicher Musik und performativen Konzepten nicht-musikalischer Kunstformen. Dabei kommen einerseits einige mit dem Institut enger verbundene Personen zu Wort und wird andererseits die vielfältige Geschichte mit den Tagungen von 1996 bis 2021 durch die jährlichen Programme, Fotos und Rezensionen historisch dokumentiert.
Nach offiziellen Grußworten der Hessischen Wissenschaftsministerin, des Darmstädter Oberbürgermeisters, des Direktors der Akademie der Tonkunst und des Vorsitzenden des Instituts kommen auch einige Ehemalige (Barthelmes, Brauckholt, Brandstätter, Ritzel, Rüdiger, Siegmund und Tsangaris) mit ganz persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen zu Wort, die das breite Spektrum aufleuchten lassen, das sich im Lauf der Jahre verwirklicht hat.
Im Zentrum stehen acht Beiträge, die sich in unterschiedlicher Weise mit der Geschichte des INMM auseinandersetzen, wobei einmal die persönlichen Erinnerungen und Erlebnisse im Vordergrund stehen (Ausländer, Bieler-Wendt, Schatt oder im Gespräch mit Hiekel), ein andermal wertvolle Informationen zur Gründungs- und Wirkungsgeschichte gegeben werden (Pröpsting, Maul) oder auch grundsätzliche Fragen der kulturhistorischen Einordnung der Tagungen von der Musik zu Körper, Alltag, Lebenswelt und Performance (Schmitt-Weidmann) sowie der Bedeutung der Kunst im Modus einer kreativen Selbsttransformation erörtert werden (Oberschmidt). Am Schluss des Bandes findet sich ein Überblick über die Geschäftsführenden und Vorstände von 1948 bis heute sowie eine Liste der Kooperationspartner und Förderer und der lieferbaren Bände der Veröffentlichungen des INMM.
Man könnte einen solchen Band leicht als eine Pflichtübung zum 75-Jährigen abtun; aber dieser Band ist weitaus mehr: Spiegel einer spannungsreichen Geschichte der Neuen Musik wie ihrer gesellschaftlichen Einbindung und zugleich Selbstreflexion einer Institution, die sich als imaginärer Raum der persönlichen Erfahrung und des künstlerischen Denkens bewährt hat (Schatt) und damit ein Bollwerk gegenüber angepasster Denkfaulheit darstellt (Hiekel).
Ad multos annos!
Wilfried Gruhn