Schnittke, Alfred

Penitential Psamls / Three Sacred Hymns

RIAS Kammerchor, Ltg. Hans-Christoph Rademann

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Harmonia Mundi HMC 902225
erschienen in: das Orchester 09/2016 , Seite 75

Ganz dicht am Text entlang komponierte Schnittke 1988 seine Zwölf Bußverse für Chor a cappella. Beinahe jedes Wort findet eine sinnige Entsprechung in seiner polystilistischen Tonsprache jener Zeit. Die Textgrundlage stammt aus dem russisch-orthodoxen Repertoire des 16. Jahrhunderts, und somit ist der englische Titel des Werks, Penitential Psalms, der für den CD-Titel genutzt wurde, leider irreführend, da hier keine Bibelpsalmen vertont sind.
Obwohl sich der Text in der deutschen Übersetzung im Booklet recht spröde liest, beweist Hans-Christoph Rademann mit dem RIAS Kammerchor, dessen Leitung er von 2007 bis 2015 innehatte, wie farbig der russische Originaltext daherkommt und wie brillant und akribisch sich Schnittke seiner Aufgabe gestellt hat.
Rademann präsentiert eine akkurat am Autograf ausgerichtete mustergültige Fassung. Sein Chor fasziniert mit geschlossener, nicht ermüdender Intensität, die auch nötig ist, um etwa auch die langen gesummten Strecken umzusetzen, die häufig wie eine instrumentale Begleitung unter und zwischen die textführenden Stimmen gelegt sind. Ganz in russischer Kirchentradition gibt Rademann den tiefen Männerstimmen viel Platz. Den sehr dichtmaschigen, schweren Partien mit ständigen Taktwechseln stellen sich gerade die Chorherren, solistisch als auch chorisch, sehr beeindruckend.
Eine Entwicklung scheint es im Text nicht zu geben, so stehen die zwölf Strophen unverbunden neben­einander. Dies spiegelt Rademann mit seiner sehr klangschönen, nie hysterisch ausufernden Interpreta-
tion. Nicht die stark dissonanten, Verzweiflung ausdrückenden Momente der Bußverse, sondern deren Auflösung in spätromantische Klangdichte dominieren diese etwa 45 Minuten dauernde Einspielung für Harmonia Mundi.
Die Art der Umsetzung zieht den Hörer sofort in ihren Bann. Sehr sorgfältig sind die komplexen Intonationshürden genommen: Clusterbildungen, Chromatik, harmonische Schärfen und ungewöhnliche Auflösungen in scheinbare Durakkorde wollen transparent wiedergegeben sein. Die Anlehnung der Musik stilistisch an Litaneien altrussischer Kirchenmusik wird hörbar. Das gewollte, beinahe meditative Gleichmaß wird selten durch textinduzierte Passagen von Emotionsgeladenheit unterbrochen. So etwa im 7. Abschnitt, wenn es heißt: „befreie mich […] von ewigen und bitteren Qualen“. Wie ein Motto des Werks und dieser sehr adäquaten Interpretation mögen die letzten Zeilen stehen: „Oh Zauber des vielfältigen Lebens! Wie Blumen, wie Staub und wie Schatten geht es vorbei.“
Gekoppelt wird dieses Chorwerk mit dem vier Jahre jüngeren kurzen Opus, den ebenfalls in russisch-
orthodoxer Tradition komponierten Drei Geistlichen Gesängen. In diesem Werk vertont Schnittke ein russisches Mariengebet, eine Christusanrufung und ein Vater unser. Bei sehr ähnlicher Faktur fehlt hier die Schwere der Bußverse, ein wunderbarer Ausklang der CD.
Katharina Hofmann

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