Fauré, Gabriel / Peter Tschaikowsky / Sergej Prokofjew

Pelléas et Mélisande / Capriccio Italien / Romeo und Julia

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin Classics GEN 12238
erschienen in: das Orchester 09/2012 , Seite 77

Die Zahl der Instrumentalisten, die es an das Dirigentenpult zieht, nimmt immer mehr zu. Daniel Barenboim, der inzwischen als Dirigent weit häufiger denn als Pianist zu erleben ist, mag der heute bekannteste sein. Aber auch Geiger wie Menuhin oder Vladimir Spivakov haben die Dirigentenszene bereichert. Bei den Cellisten denkt man zuerst an Mstislaw Rostropowitsch, der neben seiner Zweitkarriere als Dirigent zudem noch als Liedbegleiter am Klavier Kompetenz bewies. Michael Sanderling, der schon als 19-Jähriger von Kurt Masur als Solocellist an das Leipziger Gewandhausorchester geholt wurde, wonach sich eine beachtliche Solokarriere entwickelte, ist inzwischen dem Cello nur noch als Pädagoge, nicht mehr als Solist verbunden. Bei ihm, der seit der Saison 2011/12 Chefdirigent der Dresdner Philharmonie ist, mag man vermuten, dass der „Umweg“ über das Streichinstrument auch etwas mit dem berühmten Vater Kurt Sanderling zu tun hat, dem langjährigen Chefdirigenten des Berliner Sinfonie-Orchesters (BSO, heute: Konzerthausorchester). Zumindest konnte er so auf einem musikalischen Gebiet Erfolge erzielen, auf dem er nicht in direkte Konkurrenz mit seinem Vater trat.
Michael Sanderling, dessen Einstandskonzert mit seiner Dresdner Philharmonie nun auf einem hochklassigen Live-Mitschnitt vorliegt, kann als Dirigent schon auf eine beachtliche Diskografie zurückblicken. Auf seiner ersten CD mit den Dresdnern präsentiert er ein klang-opulentes Programm mit Werken von Fauré, Tschaikowsky und Prokofjew. Maurice Maeterlinks symbolistisches Drama Pelléas et Mélisande hat nicht nur Debussy zu seiner gleichnamigen Oper angeregt, auch Komponisten wie Schönberg oder Sibelius befassten sich mit dem Thema. Der Erste, der sich für den Stoff interessierte, war Gabriel Fauré. Für seine Schauspielmusik, die vom seinem Schüler Charles Koechlin instrumentiert wurde, entnahm und überarbeitete Fauré vier Stücke für die Suite op. 80, wobei die populäre Sicilienne schon zuvor entstanden war. Sanderling gelingt es mit seinen hörbar motivierten Dresdnern die harmonischen Feinheiten besonders im diffizilen Streichersatz aufblühen zu lassen. Dynamisch fein austariert werden die unterschiedlichen Valeurs der Musik ausgebreitet.
Knalliger geht es beim Capriccio Italien Peter Tschaikowskys zu. Aber auch hier lässt Sanderling die Philharmoniker mit warmen, strömenden Streicherklängen differenziert agieren, nimmt dem Stück manches von seinem vordergründigen Bombast. So kann er sich selbst neben dem Tschaikowsky-Spezialisten Michael Pletenev behaupten, dessen Russisches Nationalorchester auf seiner Pentaton-Aufnahme über die besseren Blechbläser verfügt. Sanderlings Gespür, Nuancen in den großen Zusammenhang einzubinden, ist sein großes Plus.
Bei den Szenen aus Prokofjews Romeo und Julia-Ballett schlagen die Dresdner den Bogen von den clusterhaften Momenten der Partitur, die zeigen, wie modern der Komponist auch komponieren konnte, zu dessen lyrischer Strahlkraft und dem tänzerischen Impetus, der bei diesem Mitschnitt beachtlich realisiert wird. Ein Auftakt der Zusammenarbeit von Sanderling und den Dresdnern, der gespannt auf die Zukunft macht.
Walter Schneckenburger