Grieg, Edvard
Peer Gynt
Suite Nr. 1 für Orchester op. 46/Nr. 2 für Orchester op. 55,
Sympathisch ist Peer Gynt nicht: Er ist ein Vergewaltiger, ein skrupelloser Geschäftsmann, ein untreuer Partner und ein rücksichtsloser Egoist. Erst sterbend denkt er in den Armen seiner geliebten Solveig über Richtig und Falsch nach leider zu spät.
Dass Henrik Ibsens weltreisende Dramenfigur dennoch so bekannt wurde, liegt an der Schauspielmusik des Norwegers Edvard Grieg. Aus den 1874 bis 1876 komponierten 26 Nummern stellte er später zwei je vierteilige Suiten zusammen. Die wirklich komplette Schauspielmusik wurde erstmals 1988 von Finn Benestad publiziert, innerhalb der Grieg-Gesamtausgabe, Band 18: Dramatische Musik Peer Gynt op. 23 (Edition Peters). Bei Peters erschienen 1985 als Band 12 auch die Partituren der beiden Suiten. Sie gehören zu den populärsten Klassikstücken. Besonders die hymnische Morgenstimmung ist aus TV-Werbespots nicht mehr wegzudenken, ebenso das stürmisch beschleunigte Stück In der Halle des Bergkönigs mit seinem wunderbar schrulligen Fagottbeginn.
Gerade diese Bekanntheit macht es schwer, sich auf die Musik einzulassen. Schon die Interpretation wirft Fragen auf. Sind die Nummern echte Reißer wie in der orchestral opulenten Schallplattenaufnahme von Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern (DGG, 1983)? Oder leben die Stücke eher von der Atmosphäre und einem kammermusikalischen Klangbild wie in der Aufnahme des Norwegian Radio Orchestra unter Ari Rasilainen aus den 90ern (Finlandia Records)?
Zu Recht weist der britische Musikwissenschaftler und Komponist Roger Fiske im Vorwort dieser neuen Dirigierpartitur darauf hin, dass die zweite und längere Peer Gynt-Suite op. 55 (1891) leider im Schatten der ersten op. 46 (1888) steht, in der sich die bekanntesten Nummern finden. Der Notentext entspricht der bei Breitkopf & Härtel von Richard Clarke 2010 herausgegebenen Taschen- bzw. Studienpartitur. Insofern richten sich diese großformatigen Ausgaben der beiden Suiten sowie die dazugehörigen Orchesterstimmen an Dirigenten, die das Werk einstudieren.
Hilfreich zur Einordnung der Stücke in den Kontext der Handlung ist das Vorwort auch deshalb, da es die Stücke in der Abfolge der ursprünglichen Schauspielmusik kurz beschreibt. Die Morgenstimmung etwa erscheint dort relativ spät im vierten Akt, der in Nordafrika spielt. Grieg hat die Stücke spannungsvoll neugeordnet. Der Schluss der zweiten Suite mit Solveigs Lied eine Art Leitthema der Schauspielmusik ist dennoch schlüssig. Die Edition bezeichnet den Notentext detaillierter als in den Ausgaben des späten 19. Jahrhunderts, die als Nachdruck bis heute im Umlauf sind (etwa bei Dover). Genaue Hinweise zu den verwendeten Quellen/Editionen gibt es aber nicht. Auch auf der Homepage des Verlags ist lediglich zu lesen, dass es sich um die bewährte Edition von Richard Clarke handelt.
Matthias Corvin


