Milan Turković
Pausentöne
In der Corona-Krise wurde das öffentliche Leben vielerorts lahmgelegt. Diese gesellschaftliche Vollbremsung hat der Fagottist und Dirigent Milan Turković genutzt, um sich Gedanken zu machen: über das Musikerleben, die Zukunft der klassischen Musik, aber auch über Sprache oder zwischenmenschliche Begegnungen. „Da für uns Musiker der Applaus ein wichtiger Bestandteil der Existenz ist“, schreibt er im Vorwort, „war es nur allzu logisch, dass ich mich diesem Thema in der Applaus-losen Zeit mit besonderer Zuneigung widmete.“
Vor allem das Thema Reisen behandelt Turković ausgiebig. Er erinnert sich an seine erste Konzertreise 1957 nach Paris, die wenig Komfort, dafür aber einige Abenteuer bot: Man wohnte im Studentenheim, tändelte mit den Pariserinnen und spielte Seite an Seite mit keinem Geringeren als Zubin Mehta. In den siebziger Jahren tourte Turković mit dem Concentus Musicus durch die Welt, absolvierte ein wahres Mammutprogramm und begann, Kofferaufkleber zu sammeln. Er erzählt vom Unterschied zwischen japanischen und europäischen Garderoben, von einem Hotelspuk in Bielefeld und von den Mühen, ein Instrument im Flugzeug mitzunehmen: Cellisten etwa müssen für ihr Cello einen zweiten Sitzplatz buchen, was dazu führte, dass Nikolaus Harnoncourt auf einem Flug auch für sein Instrument ein Menü forderte.
Solch beschwingte Anekdoten bilden den Rahmen für ernstere Überlegungen, etwa zur Brückenfunktion von Kultur und Musik („Leider ist es eine Utopie, wenn man meint, Kultur könne bahnbrechend Frieden zwischen den Nationen stiften“), zur Zukunft der klassischen Musik („Was macht die Minderheit in der Kaste ,Klassik‘, wenn sie von der Mehrheit nicht nur überstimmt, sondern in akustische Geiselhaft genommen wird?“) oder zu zeitgeistigen Umdeutungen von Opern – wobei Turković meint, „dass ein Opernkunstwerk dem Publikum so erzählt werden sollte, wie es vom Autor und Komponist geschrieben wurde“. Und schließlich verlässt er das musikalische Universum und widmet sich der Sprache, die ihm als Autor mehrerer Bücher ebenfalls am Herzen liegt.
All das ergibt einen charmanten Streifzug durch Turkovićs Gedankenwelt, der von einem Thema zum anderen mäandert und Einblicke in die Lebensumstände und Ansichten eines Musikers gewährt. Mag der Text auch gelegentlich den Eindruck einer gewissen Ziellosigkeit erwecken, so ist er in seiner Gesamtheit doch das erfrischende Zeitdokument eines Mannes, der sich der Musik verschrieben hat und gleichzeitig gesellschaftliche Entwicklungen aufmerksam verfolgt.
Irene Binal