Klaus Waller
Paul Abraham
Der tragische König der Jazz-Operette
Eine Biografie über Paul Abraham ist eine undankbare wie beklemmende Aufgabe. Die erste Lebenshälfte des „tragischen Königs der Jazz-Operette“ (1892-1960) liegt weitgehend im Dunkeln, weil der in Budapest auch als Börsen-Kommissionär für seine Künstlerfreunde Tätige Selbstmitteilungen mit märchenhaften Details ausschmückte. Abraham setzte sich als Wunderkind und erfolgsverwöhnter Dandy in Szene und band Medienvertretern so manchen Bären auf.
Als sein Geburtsort Apatin nach dem Ersten Weltkrieg von Ungarn an Jugoslawien fiel, musste Abraham sich die ungarische Staatsbürgerschaft administrativ erkaufen. Nach dem Erfolg von Viktoria und ihr Husar 1930 in Deutschland spielte er die ihm davor in Ungarn zuteil gewordene Anerkennung herunter. Nur wenige Jahre dauerte das europäische Abraham-Fieber, bis der jüdisch-stämmige Bonvivant Deutschland nach der Machtübernahme der Nazis verlassen musste, über Österreich und Kuba nach Amerika emigrierte, dort aufgrund der Spätfolgen einer Syphilis jahrelang in einer psychiatrischen Klinik lebte und durch ein Komitee nach Deutschland zurückgeholt wurde. 1960 verstarb Abraham in Hamburg-Eppendorf an einer Hautkrebs-Erkrankung.
Die Abraham-Renaissance ist auch durch die von der Komischen Oper Berlin und ihrem Intendanten Barrie Kosky ausgehenden Impulse in vollem Gang. Ball im Savoy hat sich wieder auf den Spielplänen etabliert, Abrahams Operetten Roxy und ihr Wunderteam und Märchen im Grand Hotel schwimmen auf einer frischen Erfolgswelle durch den deutschsprachigen Theaterraum. Eine Würdigung ihres Schöpfers und damit ein weiteres trauriges Kapitel über die Kahlschläge an der deutschen Unterhaltungskultur durch die Nationalsozialisten war also überfällig.
Der Sportjournalist und Generalist Klaus Waller setzt zwei Teile: Aufstieg und Abstieg. Er lässt im Anhang unter anderem Henning Hagedorn über eine verlässliche Edition von Abrahams Operetten sowie Barrie Kosky und Adam Benzwi mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Bühnentauglichkeit Abrahams zu Wort kommen. Waller hat Unmengen der gängigen bzw. weniger bekannten Operetten-Literatur durchforstet. Die Listen im Anhang belegen, dass Abrahams Schaffen nie wieder eine Erfolgsfrequenz wie in den letzten Jahren der Weimarer Republik erreichte.
Aufgrund der unsicheren Quellenlage und den widersprüchlichen Aussagen Abrahams, von denen Waller bei Weitem nicht alle auflösen konnte, musste der Autor auch Zeitzeugen zu Rate ziehen. Insgesamt zeigt Waller größeres Interesse an personellen Verflechtungen als an den heute für genial erachteten Operetten, in denen zwischen Polyamorie, offenen Ehen und erhöhter Flirtbereitschaft nichts aus dem metropolitanen Vergnügungsdschungel unmöglich scheint.
Ein gutes Opening für die Lektüre wäre der von Paul Abraham dirigierte YouTube-Post „Es ist so schön am Abend bummeln zu gehn“ mit Rosy Barsony und Oskar Dénes.
Roland Dippel