Georg Philipp Telemann

Pastorelle en Musique

Ensemble 1700, Ltg. Dorothee Oberlinger

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Deutsche Harmonia Mundi
erschienen in: das Orchester 01/2023 , Seite 69

Dass Georg Philipp Telemanns Pastorelle en Musique heute überhaupt in einer mehr als ansprechenden Liveeinspielung mit Dorothee Oberlinger und ihrem Ensemble 1700 vorliegt, verdankt es glücklichen Umständen. Denn das nach heutigem Stand früheste vollständig überlieferte musikdramatische Werk Telemanns war als Partitur-Abschrift in den Beständen des Archivs der Berliner Singakademie nach dem 2. Weltkrieg in Kiew gelandet. Erst als 2002 dieses Archiv wieder nach Berlin gelangte, konnte die Abschrift der Pastorelle en Musique wiederentdeckt werden und als Grundlage für eine 2014 veröffentlichte wissenschaftliche Edition dienen.
Telemanns Pastorelle entstand höchstwahrscheinlich in seiner Frankfurter Zeit, wo er zwischen 1712 und 1721 als Städtischer Musikdirektor wirkte. Wahrscheinlich wurde sie für die „Hochadelige Gesellschaft Frauenstein“ komponiert. Man kann darüber spekulieren, ob dieses eine arkadische Schäferidylle behandelnde Werk für eine deutsch-französische Hochzeit entstand. Dies wäre eine mögliche Erklärung für die Verwendung sowohl der deutschen als auch der französischen Sprache.
Französisches findet man hier zudem in vielen Details: dem galanten Tonfall, den Damon als Anführer des Schäferchors anschlägt; in Musette­anklängen bis hin zur künstlerischen Anverwandlung eines Zwischenspiels aus dem Divertissement Royal Les Amants magnifiques nach Molière/Lully; oder weitere Übernahmen von französischen Vorlagen. Doch auch ein Koloraturfeuerwerk im italienischen Stil findet sich, was für die musikalische Vielfalt und Offenheit Telemanns steht.
Vor allem aber sind es der beherzte Zugriff und das Temperament, mit dem Dorothee Oberlinger ihr Ensemble 1700 agieren lässt, die die Beschäftigung mit der CD lohnen. Die Lebendigkeit des Ensemblespiels fernab von akademischer Strenge prägt die Aufführung, die auch als akustisch gelungener Mitschnitt der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci vom Juni 2021 viel von dieser Musizierlust transportiert.
Aber nicht nur das Instrumentalspiel kann auf diesem Mitschnitt durch virtuose Lust und klangfarbliche Differenzierung überzeugen. Das Sängerensemble zeigt sich bei der französischen ebenso wie der italienischen Idiomatik auf gleich hohem Niveau wie die Instrumentalist:innen. So brilliert Lydia Teuschers Caliste mit einem Koloraturfeuerwerk, während die Iris von Marie Lys mit ihrem flexiblen Sopran zwischen Zickigkeit und Zärtlichkeit zu changieren weiß. Alois Mühlbachers Altus kann seinen weitgespannten gestalterischen Radius als Amyntas unter Beweis stellen, komödiantisch geht Virgil Hartinger den Knirfix an, die baritonale Anziehungskraft von Florian Götz als Damon überwindet schließlich auch letzte Schranken des Liebesglücks.
Thomas Weiss