Brahms, Franck, Schostakowitsch und anderen

Passion

Atilla Aldemir (Viola), Itamar Golan (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: gwk Records
erschienen in: das Orchester 05/2020 , Seite 77

Ist die Viola das richtige Instrument für Leidenschaft? Manchmal wird ihr ein Hang zur Schwerfälligkeit attestiert und ihr tiefer Tonbereich als „herb“ bezeichnet. Doch für die hohen Töne sprechen ihr Berlioz und Strauss in ihrer Instrumentationslehre die Fähigkeit zu
einem „traurig-leidenschaftlichen Ausdruck“ zu, weshalb es wohl auch das Vorurteil gibt, dass Bratschenmusik zumeist schwermütig sei.
Atilla Aldemir und Itamar Golan geben ihrer neuen Einspielung den Titel Passion. Beim Hören des „Allegro appassionato“ der ursprünglich für Klarinette komponierten f-Moll-Sonate von Brahms denkt man freilich weniger an Leidenschaft, eher an klassizistische Beethoven-Verehrung. Da werden einzelne Akkorde hingestellt, als ob es sich um eine architektonische Konstruktion handeln würde. Erfreulicherweise entfalten die beiden Künstler in den folgenden Sätzen ein weites Spektrum mit höchst differenzierten Viola- und Klavierklängen und unterschiedlichsten Schattierungen.
Die A-Dur-Sonate von César Franck spielt Aldemir in großen, ausdrucksstarken Melodiebögen. Doch auf der Violine, für die sie komponiert wurde, kommt Leidenschaft besser zum Ausdruck. Auf der Bratsche wirkt die Sonate etwas matt und dem Hörer wird klar: Die „Leidenschaft“ einer Violine ist eine andere als die der Bratsche.
Dies wird dann in der Sonate von Schostakowitsch deutlich, die der Viola auf den Leib geschrieben wurde. Hier werden die Kontraste zwischen dem tiefen Tonbereich auf C- und G-Saite und dem hohen auf der A-Saite für eine erstaunliche Komposition genutzt. Allein schon der Anfang mit Pizzicato der Viola und perkussiv hingetupften Klavierklängen ist faszinierend und wird von den beiden Solisten mit größter Delikatesse musiziert. Wenn dann die Viola zu ihrem Melodiespiel ansetzt, entsteht eine Leidenschaftlichkeit, wie sie nur auf diesem Instrument dargestellt werden kann. Im „Allegretto“ gestalten Aldemir und Golan mit hörbarer Freude die skurril-grotesken Rhythmen und Melodien und tauchen den Hörer im „Adagio“ in die Stimmung von Beethovens „Mondschein-Sonate“ ein, deren Motive Schostakowitsch zitiert.
Aldemir gelingt es, mit der Bratsche Melancholie, Trauer und Transzendenz einzufangen und die Intensität der Musik zusammen mit der kongenialen Begleitung von Golan zu höchster Leidenschaft zu steigern. In den folgenden Werken für Viola solo präsentiert sich Aldemir als technisch versierter Virtuose, der uns mit seinem ausdrucksvollen Spiel unbekannte Musik der türkischen Komponisten Necil Kâzım Akses und Halit Turgay schätzen lehrt.
Im CD-Beiheft schreibt Atilla Aldemir sehr persönlich über die Werkauswahl. Das ist einerseits sympathisch. Andererseits kaufen Menschen heute unter anderem auch deswegen CDs, statt die Musik zu streamen, weil sie besser informiert sein wollen, also zum Beispiel gerne etwas mehr über Werke und Komponisten wissen wollen, was hier etwas zu kurz kommt.
Franzpeter Messmer