Constantin Floros
Passion Musik
Eine wissenschaftliche Autobiografie
Das ist der alten Menschen Krone, dass sie viel erfahren haben (Sir. 25, 8). Daher die Neigung, Rückschau zu halten und die Essenz des eigenen Schaffens zu bewahren. So liest sich und berührt das jüngste der über zwanzig Bücher (plus Übersetzungen), die der Hamburger Musikforscher Constantin Floros in rund 50 Jahren publizierte. Bruchstücke einer großen Konfession hätte er seine Wissenschaftliche Autobiografie auch untertiteln können. Leitmotiv seines Strebens war die These, Fortschritt der geschichtlichen Wissenschaften werde sich überall da vollziehen, wo Spezialisierung und Ganzheitsbetrachtung sich kombinieren und durchdringen (Ernst Robert Curtius 1948).Von den Fachgelehrten eher zögerlich anerkannt, gelangen ihm Entdeckungen erheblicher Tragweite auf verschiedensten Feldern der Musik. Obwohl er bereits 1963 die altslawische Kondakarien-Notation enträtselt hatte, nannte The New Grove diese noch 1980 enigmatic. Da war seine dreibändige Universale Neumenkunde bereits zehn Jahre auf dem Markt!
Schon für seinen akademischen Mentor in Hamburg, den Mediävisten Heinrich Husmann, gehörten Altes und Neues, Historische und Systematische Musikwissenschaft, Philologie und Ethnologie, Musikpsychologie und Akustik zusammen. Um den Preis, als Außenseiter zu gelten, widmete Floros einen Großteil seiner Arbeit dem Bedeutungshorizont von Musik der Wiener Klassik bis zur Postmoderne. Es ging ihm darum, ihr die Würde der Sinnvielfalt zu erhalten, die ihr die Kaste der Erbsenzähler abschnitt, indem sie Partituren zu strukturanalytischen Datenspendern verkürzte. Die geistige Tiefendimension bedeutender musikalischer Kunstwerke total zu ignorieren und sich auf die Untersuchung des Klangleib zu beschränken: für mich gibt es keine schlimmere Verirrung, bekennt der Autor unverblümt.
Seine schon 1964 an Mozarts Meisterouvertüren entwickelte, in seiner Studie über Alban Bergs Lyrische Suite 1975 erstmals so benannte Methode semantischer Analyse, die in seinem dreibändigen Standardwerk über Mahlers geistige Welt, die Verwurzelung seiner Musik- und Symbolsprache in der Sinfonik des 19. Jahrhunderts sowie die Symphonien im Einzelnen (1977/87) gipfelte sie galt dem Endzweck, das emotionelle und geistige Innenleben der Musik freizulegen, ihre humane Botschaft zu entschlüsseln.Neben seinen Einblicken u.a. in die Ästhetik der Zweiten Wiener Schule und deren Grabenkämpfe in den 1920er Jahren erweist sich Floros als passionierter Kenner seiner musikalischen Zeitgenossen, allen voran seines Freundes György Ligeti (glänzend die Studie zur Absurdität der menschlichen Existenz in dessen Oper Le Grand Macabre). Wer sich ihm als Schüler verbunden fühlt, weiß die Offenheit zu schätzen, mit der er eingangs seiner griechischen Eltern aus Kleinasien, seiner Kindheit und Jugend in Saloniki und seiner Lehrjahre in Wien gedenkt. Sympathisch immer wieder auch die Redlichkeit seiner Sprache, die sich jeglicher Verklausulierungen und modischer Anglizismen enthält.
Lutz Lesle