Sondheim, Stephen / James Lapine

Passion

2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Bobby Music bm 1301
erschienen in: das Orchester 05/2014 , Seite 77

Passion gilt, worauf der Titel schon hinweist, als Sondheims leidenschaftlichstes Projekt. Basierend auf dem Film Passione d’Amore (1981) von Ettore Scola, der wiederum auf der Erzählung Fosca Iginio Ugo Tarchettis aus dem 19. Jahrhundert fußt, war Passion eines der wenigen Musicals, die Sondheim vollständig selbst verantwortete. 1994 wurde es am Broadway uraufgeführt, die Kritiken waren gemischt. 2010 wurde Passion zum 80. Geburtstag Sondheims neu inszeniert und 2011 erstmalig im deutschsprachigen Raum in Dresden gegeben; eben genau mit der Besetzung, die auch auf dieser CD vorliegt.
Das Musical ist in Form eines Briefdramas gestaltet und greift filmische Techniken wie Simultanszenen auf. Hauptfigur ist der junge Soldat Giorgio, der ein Verhältnis mit Clara hat, das jedoch scheitert. Er begegnet Fosca, die an hysterischen Anfällen leidet und sich von ihm eine Liebeserklärung wünscht, die er ihr auch – anfangs aus Mitleid – gibt. Doch Foscas Liebe nimmt ihn mehr und mehr gefangen. Sie endet tragisch, Fosca stirbt.
Die Handlung, mag sie auch einfach sein, irritiert, denn aus einer gezwungenen Situation denkbarer Ungleichheit zwischen Giorgio und Fosca entsteht eine Form der Intimität, die Mitleid und Liebe miteinander zu einem radikalen Liebeskonzept verschmelzen lässt. Das mag auch die damaligen Rezensenten teilweise verstört haben, denn Fosca wird mit nur hörbarem Schreien eingeführt und entspricht daher so gar nicht der Vorstellung von liebenswürdiger Weiblichkeit. Diese Überschreitung aber sorgt auch für eine leichte Verschiebung des Musikalischen, das von zart untermischten Untertönen bestimmt ist und neben dem süffig glatten Disney-Klang à la Aladin (sanfte Streicherlagen mit konturierten Cello- und Oboenlinien, Klavier- und Celestafunkeln) eine ungewöhnliche Sensibilität aufscheinen lässt und dem Ganzen Individualität verleiht. So Foscas erster Auftritt, der auch textlich Schlüsselcharakter besitzt, da hier die besonderen Zeichen für ihren bedingungslosen Charakter gegeben werden.
Zauberhaft tatsächlich das – sehr kurze – italienische Weihnachtslied. Dem amerikanischen Broadway-Sound schmiegen sich die Stimmen in Timbre und Diktion bruchlos an. Mag das Deutsche gegenüber dem Englischen auch etwas holpern, die Geschmeidigkeit und Professionalität der Sänger erzeugen die spezifische Seligkeit des Musicals. Dabei strahlt die glasklare Stimme Maike Switzers als Clara kühler als das leicht abgedunkelte Timbre Vasiliki Roussis als Fosca, die trotz ihres hysterischen Charakters eine große Wärme ausstrahlt und im Gesang nie aufdringlich wirkt. Allerdings klingt sie oft allzu gesund; daher überzeugen besonders jene Stellen (und davon gibt es zahlreiche), in denen ihr Gesang fast bis zum Hauchen zurückgenommen ist und eine entwaffnende Zart- und Offenheit bloßlegt, die für den Plot entscheidend ist. Marcus Günzel ist ein hervorragender Sänger; in seinem Sprechen schulmeistert es gelegentlich. Insgesamt würde man sich angesichts des engagierten Projekts tatsächlich etwas mehr Rauheit der Stimmen wünschen, die im wunderbar geführten Dresdener Orchester nicht ganz so klanglich ungebrochen eingehen. Die insgesamt gelungene Pionierleistung der Staatsoperette verdient großen Respekt.
Steffen A. Schmidt