Pärt, Arvo

Passacaglia

The Kristjan Järvi Sound Project. Anne Akiko Meyers (Violine), MDR Sinfonieorchester, Ltg. Kristjan Järvi

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naïve V 5425
erschienen in: das Orchester 02/2016 , Seite 73

Während des Leipziger Bachfests im Sommer 2015 kam Kristjan Järvi, dem Leiter des Leipziger MDR Sinfonieorchesters, die Idee, als vierten Teil des Kristjan Järvi Sound Projects eine CD allein Arvo Pärt zu widmen, passend zum 80. Geburtstag des estnischen Komponisten. Eine lange Freundschaft verbindet den heute in Berlin lebenden Arvo Pärt mit Kristjan Järvi, war Pärt doch ein oft und gern gesehener Gast im Haus Järvi; und hat doch Jeeme Närvi, der Vater des jungen Wahl-Leipzigers, viele der Werke Pärts aus der Taufe gehoben und sehr eng mit ihm zusammengearbeitet. Der Kontakt ging vom Vater auf den Sohn über und hielt an.
Hört man also jetzt eine intime Sicht auf das Schaffen des Esten? Kann man Neues, Überraschendes erleben? In jedem Fall weckt die Serie, in der diese CD sich einfügt, besondere Erwartungen: Als 2014 beim französischen Label Naïve das Kristjan Järvi Sound Project startete, versprach es eine etwas andere Sicht auf die Musik, und der junge Dirigent, der von Estland über die USA an das Pult des MDR Sinfonieorchesters kam, umgab sich mit einer Aura des Jungen Wilden. Die Trennung von U- und E-Musik akzeptiert er nicht, Strawinsky stellt er neben Hip-Hop und Klassisches wird mit Jazz konfrontiert. So lebten ja gerade die ersten CDs der Reihe von solch einer überraschenden Programmgestaltung und der frischen, unverbrauchten Sicht auf die Klänge.
Leider wird dieses Versprechen jetzt nicht eingelöst. Diese Aufnahme – teils live vom Leipziger Bachfest und im Studio parallel zum Bachfest eingespielt – ist ein recht willkürliches Sammelsurium aus dem Œuvre Pärts, das hinsichtlich Konzept und Interpretation noch recht beliebig wirkt.
Das spürt man dann gleich zu Beginn: In Credo, komponiert 1968, einer Collage aus klassischen Versatzstücken und damit noch vor Pärts Prägung des Tintinnabuli-Stils stehend, erlebt man eruptierende Klangpfützen und vor sich hin stolpernde Fragmente aus Bachs ersten Präludium des Wohltemperierten Klaviers. Die große Klammer, der feste Rahmen, der erst die Farbigkeit der Collage erfahrbar macht, fehlt. Järvi schafft es nicht, das Orchester auf einer klaren Linie zu halten, das Konzept hinter den musikalischen Anleihen erlebbar zu machen.
Ein Bild prägt die ganze CD: Mein Weg für Streichorchester, die spätere Adaption des Orgelwerks Mein Weg hat Wipfel und Wellentäler (1989), in dem Pärt seinen persönlichen Tintinnabuli-Stil gefunden hat und das zum schmucken Kleinod wird. Von der Intensität, vom Suchen, ja vom Ringen um den Stil ist hier nichts mehr zu hören. Zu glatt, zu schön gefärbt plätschern die knapp sieben Minuten vor sich hin. Runder wird das Bild dann zwar bei den drei Werken für Violine solo (Anne Aikiko Meyers) und Streicherensemble Darf ich…/Passacaglia/Fratres, doch auch hier kommt keine rechte Spannung auf. Was bleibt, sind etwas über eine Stunde abgeklärte, ja vehement glattgebürstete Musik des 20. Jahrhunderts. Schade, denn von einem sich selbst als Bilderstürmer inszenierenden Orchesterleiter habe ich mehr erwartet.
Markus Roschinski