Keller, Christoph J.

Partita

für Violine solo, Bogenstriche und Fingersätze von Holger Zindler

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Inventio, Berlin 2012
erschienen in: das Orchester 05/2013 , Seite 71

Vielleicht nicht allen unter uns dürfte sein Name geläufig sein. Der 1959 in Geldern am Niederrhein geborene Pianist und Komponist Christoph J. Keller erhielt seine Ausbildung an der Hochschule für Musik Saar in Saarbrücken und an der École Normale de Musique de Paris. Später unterrichtete er an mehreren Musikschulen Klavier, Kammermusik und Musiktheorie. Seit 1997 lebt Keller als freischaffender Künstler in Oldenburg. Sein Werkverzeichnis dokumentiert eine beeindruckende Vielzahl von Kompositionen: Instrumental-, insbesondere Klaviermusik, Werke für Chor a cappella, Kammermusik für die verschiedensten Besetzungen (für Blockflöte und Akkordeon scheint er eine Vorliebe zu hegen), Lieder, ein Oratorium Der Antichrist, Melodramen, also so ziemlich alles außer Opern und Symphonik.
Die vorliegende Partita für Violine solo schrieb Keller 1997 und merkt dazu im Vorwort der Notenausgabe an: „Wie schon bei den Partiten von J.S. Bach sind die instrumentalen Spielformen – Präludium, Intermezzo und Aria – und die barocken Tanzformen – Sarabande, Menuett und Gigue – Auslöser und Impulsgeber für die Bewegungsgesten und Charaktere der einzelnen Sätze. Die Aura des Alten, gewissermaßen als Sinnbild der Tradition, ist in das Gewand neuer Klänge, einer erweiterten freien Tonalität gekleidet. Hieraus ergibt sich ein breiter musikalischer Bogen zwischen rhapsodisch-improvisatorischer Spielfreude und Virtuosität sowie expressiver-gesanglicher Lyrik… Die Partita bietet somit eine Anknüpfung und Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition und führt zu reizvollem Neuland in der Gleichzeitigkeit von bereits Vertrautem und der zeitgenössischen Tonsprache.“
Keller hat die „barocke“ Satzfolge der Partita (Präludium, Sarabande, Menuett, Aria, Gigue) zweimal durchbrochen: Nach Sarabande und Menuett ist jeweils das gleiche – komplett identische – virtuose Intermezzo (Presto) eingeschoben. Das Prinzip der Unter- und Durchbrechung gesanglicher Linien und formaler Abläufe durch klangverfremdete Einwürfe beherrscht die beiden langsamen Sätze Sarabande und Aria. Das Menuett ist ganz pizzicato zu spielen. Hier scheint Hindemiths op. 31/2 Pate ge-
standen zu haben, wie überhaupt manches in Kellers Klangsprache von Ferne ein wenig an Hindemith erinnert, insbesondere seine Vorliebe für Quartenabfolgen. Das ist alles mit handwerklichem Geschick, mit Gespür für die Möglichkeiten der Violine, mit Sinn für Form, Sanglichkeit und Wirkung geschrieben. Der Geiger kann zeigen, was er alles „drauf“ hat, Keller verlangt ihm durchaus einiges an virtuosen Fertigkeiten ab. „Neue“ Spieltechniken, Mikrotöne und Ähnliches sind indes ausgespart, die Schreibweise bleibt traditionellen Mustern verhaftet.
Fazit: Wer ein lebendiges und effektvolles, dabei auch konservativen Zuhörern zugängliches zeitgenössisches Werk für Sologeige sucht, könnte hier durchaus fündig werden.
Herwig Zack