Péter Eötvös/Pedro Amaral
Parlando – Rubato
Gespräche, Monologe und andere Umwege
Die Karriere von Péter Eötvös als Opernkomponist begann spät. 1991 gab der damals 47-Jährige nach zwölf Jahren die Leitung des Ensemble Intercontemporain ab. Denn es drängte ihn, die Erfahrungen, die er als reproduzierender Künstler gemacht hatte, schöpferisch intensiver zu nutzen, an seine frühen Arbeiten aus den 1970er Jahren anzuknüpfen, in denen er erstmals auf seine ganz eigene Weise den Begriff des Musiktheaters neu zu definieren suchte, jenseits zeitgenössischer Strömungen und stilistischer Ideologien. An diesen hatte er sich hinreichend abgearbeitet, allerdings um schließlich zu erkennen, dass er nur in der Position des Außenseiters zu seiner eigenen kompositorischen Sprache finden würde.
Diese Erkenntnis sollte zu einer zweiten, nicht minder beeindruckenden Karriere führen, die wiederum ohne die langjährige Praxis von Péter Eötvös als Pianist und Dirigent nur schwer denkbar wäre. Wie komplex seine beiden musikalischen Leben aufeinander bezogen sind und welche Rolle biografische wie zeitgeschichtliche Umstände dabei gespielt haben, hat Eötvös in einer Gesprächsserie im Mai 2010 mit dem Komponisten und Musikwissenschaftler Pedro Amaral rekapituliert und dabei im Nachgang manche Einsichten gewonnen, die er mit dem Blick des leidenschaftlich kühlen Analytikers und mit frappierend distanzierter Haltung gegenüber seinen eigenen Werken und gewissermaßen als Historiker seiner selbst in ihrer Bedeutung einordnet.
Im Prolog lässt Amaral die wichtigsten Stationen im künstlerischen Leben von Eötvös in aller Kürze Revue passieren: die eher konventionelle musikalische Ausbildung an der Musikakademie in Ungarn und die kompositorischen Studien bei den großen Antipoden Karlheinz Stockhausen und Bernd Alois Zimmermann im Köln der späten 1960er Jahre, die erste Reise von Eötvös nach Japan, die ihren Niederschlag in Harakiri finden sollte – einer Szene mit Musik für Sängerin, eventuell einem Sprecher sowie drei Instrumentalisten, die rückblickend betrachtet den Nukleus von Eötvös’ musiktheatralischer Arbeit bildet.
Je weiter man in der Lektüre fortschreitet, über Opern wie Drei Schwestern (1996/97), Le Balcon (2001) oder den Einakter Senza sangue (2014/15), umso klarer kristallisiert sich heraus, dass das narrative Moment im Œuvre von Eötvös die zentrale Triebkraft ist, dass es immer der Stoff ist, die Sprache im engeren wie im übertragenen Sinn, was Eötvös das berühmte weiße Blatt beschreiben lässt. Man erfährt in verschiedensten Kontexten, dass der Pragmatiker und Praktiker Eötvös den institutionellen Apparat Oper herausfordert, sich von diesem aber auch herausfordern lässt. Denn ähnlich wie Bernd Alois Zimmermann bedient sich Eötvös bei allen Musikgenres. Ähnlich wie Karlheinz Stockhausen arbeitet Eötvös, geleitet von seinem analytisch-emotionalen Ansatz, strukturell hoch ausdifferenziert. Und genau wie seine beiden wichtigsten Lehrer hat er dabei zu einem unvergleichlichen Stil gefunden, über dessen Ingredienzien man hier alles erfährt. Der vorliegende Band dürfte für Interpreten wie für künftige Exegeten von größter Bedeutung sein.
Annette Eckerle