Werke von Gabriel Fauré, Georges Hüe, Paul Taffanel und anderen

Palette

Nathanaël Carré (Querflöte), Ensemble Nuanz

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ars Produktion
erschienen in: das Orchester 01/2020 , Seite 74

Von Pragmatikern geschätzt, bei Puristen verpönt: Die Frage nach Original und Bearbeitung, Werktreue und Originalklang hinterließ ihre tiefen Spuren in der musikästhetischen Diskussion der vergangenen Jahrzehnte. Doch ist das Thema der Bearbeitung eigentlich eine alte, vertraute Konstante in der Musikgeschichte, meisterhaft praktiziert teilweise an eigenen Werken (z.B. Bach), als respektvolle Auszeichnung für den brillanten musikalischen Einfall eines anderen (Bach bei Vivaldi) oder einfach eine unterlassene Instrumentation, die alles ermöglichte, was klanglich gerade verfügbar war (z.B. in der Renaissance).
Der Anspruch der Werktreue mit einem zu erforschenden Originalklang ist erst im 20. Jahrhundert erstarkt; das Nachspüren in die klangliche Tiefenwelt bereits festgelegter Instrumentationen somit technisch erschwert. Natürlich meint man in manch feingeistiger Klavierzauberei in Sternstunden großer Pianisten ganze Orchester zu hören, an die der Komponist im Absoluten vielleicht gedacht haben könnte, aber die tatsächliche Neu­instrumentierung, die Orchestrierung vorzunehmen ist dann doch noch ein weiter Schritt.
Diesen Schritt mit Bravour gegangen ist Nathanaël Carré in vorliegender Einspielung Palette, in der der Solo-Flötist des Staatsorchesters Stuttgart sich auf Klangspurensuche innerhalb eigentlich bekannter, teilweise vielleicht auch neu zu entdeckender französischer Flötenkompositionen macht und in wohlgelungenen Arrangements gemeinsam mit dem Streichsextett Nuanz auf eine klangliche Metaebene gelangt, die den Kompositionen ein faszinierendes neues Spektrum und dem geneigten Hörer ein überraschendes neues Verstehen ursprünglich vertraut geglaubter Musik ermöglichen.
Entscheidend für die Auswahl der zu arrangierenden Kompositionen sei die Qualität des Klavierparts, so der versierte Flötist, der hier Werke von Fauré, Hüe, Taffanel, Jolivet, Françaix, Bozza, Godard, Ibert, Borne und Hahn gemeinsam mit kammermusikalisch äußerst inspirierten Orchesterkollegen eingespielt hat. Schon die Fauré-Fantaisie op. 79 lässt staunen, eröffnet faszinierende Klangwelten und legt in diesem in jeder Linie korrespondierenden Arrangement mit feinstem musikalischen Malerpinsel zarteste Schichten frei, die das virtuose Stück in eine tiefere musische Qualität führen.
Und dieses Freilegen ist symptomatisch für diese CD, auf der im Sinne fast einer Bildrestauration geradezu Verborgenes neu aufscheint, hörbar gemacht und in einen faszinierenden Dialog der Instrumentenstimmen geführt wird. Freilich darf man über sich verändernde musikalische Ausdrucksmöglichkeiten und Klangcharaktere nachdenken, darf nach wie vor auch die Originalversionen bevorzugen. Aber diese Einspielung darf die Ohren neu öffnen für kompositorische Aspekte, die in der Originalversion allzu leicht im Hintergrund bleiben. Absolut faszinierend.
Christina Humenberger