Ruggero Leoncavallo

Pagliacci

Opera in two acts (final version), in one act (original version), hg. von Andreas Giger, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 01/2021 , Seite 65

Die neue, optisch äußerst ansprechende Edition von Leoncavallos viel gespieltem Meisterwerk Der Bajazzo in der Reihe „Masterpieces of Italian Opera“ vereint beide Versionen der Oper – die einaktige originale und die zweiaktige mit dem voranstehenden Prolog.
Der umfangreiche Editionsbericht ist zweisprachig – in englischer Sprache verfasst und ins Italienische übersetzt. Er enthält unter anderem genaueste Quellenangaben sowie ein ausführliches Vorwort. Dieses widmet sich akribisch der Geschichte, den Quellen des Textes, der Komposition der Urfassung bzw. der veränderten Form durch die spätere Hinzufügung des Prologs, dem ersten Notendruck im Verlag Sonzogno und auch der Rezeptionsgeschichte von der Uraufführung 1892 in Mailand bis hin zu der bemerkenswerten Aufführung 1893 in Triest – dort wurde nämlich zum ersten Mal die bis heute gängige Kombination mit Mascagnis Cavalleria rusticana erfolgreich erprobt.
Im Zweiten Weltkrieg wurden 1943 durch Luftangriffe der Allierten die im Archiv des Sonzogno-Verlags aufbewahrten Druckplatten der Partitur des Pagliacci unwiederbringlich zerstört. Das gleiche Schicksal ereilte den Uraufführungsort, das Teatro Dal Verme (inzwischen wiederaufgebaut). Das ist insofern bemerkenswert, als für eine möglichst originale Druckfassung der Oper nur wenige Quellen zur Verfügung standen, war Mascagni doch vor dem Pagliacci weitgehend unbekannt, selbst die Uraufführungskritiken waren spärlich.
Erfolglos in Verhandlungen mit Ricordi, aber angestachelt vom Erfolg der Cavalleria, fand Leoncavallo schnell den Stoff für Pagliacci. Die Vorlage ist einerseits eine wahre Begebenheit, andererseits fußt sie auf der „tragiparade“ La Femme de Tabarin von Catulle Mendes, uraufgeführt in Paris 1887. Das vollständige Libretto ist – in der Originalsprache – ebenfalls abgedruckt.
Es gab sogar noch einen weiteren Revisionsversuch, angeregt von der Leitung der Opéra comique Paris, das Duett zwischen Silvio und Nedda textlich und musikalisch zu strecken; überlebt hat nur die Texterweiterung, die hier wortgetreu, wohlgemerkt in französischer Sprache, abgedruckt ist. Geradezu anekdotenhaft, aber wohl authentisch ist dabei das Missverständnis von Leoncavallo hinsichtlich dieses Vorschlags, den er zunächst als Ansinnen einer angeblich geplanten Kürzung nämlichen Duetts in einem Brief verärgert zurückwies.
Trotz aller erkennbaren Gründlichkeit geht es auch in dieser Edition nicht ohne Fehler ab. Verwunderlich ist beispielweise, dass in den Instrumentenangaben in der Partitur eine deutsche „Bass-Tuba“ auftaucht anstelle der „Basso Tuba“. Ein noch eklatanterer Fehler findet sich ab Seite 36 bis zum Ende des 1. Akts bei der Piccoloflöte (ita. Ottavino): Diesem System fehlt der Violinschlüssel; nur die Vorzeichen, falls notwendig, stehen jeder Zeile voran. Abgesehen davon ist das Erscheinungsbild der Partitur äußerst ansprechend, der Kritische Bericht ausführlich und lässt für den praktischen Musiker wie den wissenschaftlich orientierten Fachmann nichts zu wünschen übrig.
Kay Westermann