Fazıl Say

Paganini Jazz

Variationen über die Caprice Nr. 24 im Stil des Modern Jazz, arr. für Violine, Klavier, Kontrabass (oder E-Bass) und Schlagzeug von Andreas N. Tarkmann nach dem Original für Klavier op. 5c, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz
erschienen in: das Orchester 12/2019 , Seite 63

Fazıl Say hat sich für seine Konzerte selbst einige effektvolle Encores auf den Leib geschrieben, sehr bekannt wurde seine Fantasie über Mozarts „Alla Turca“. Das Thema der letzten Paganini-Caprice, das vielen Komponisten wie Brahms, Rachmaninow oder Blacher als Basis für Variationszyklen diente, hat er zu Jazz-Variationen verarbeitet.
Der junge deutsche Geiger Niklas Liepe veröffentlichte im vergangenen Jahr sein New Paganini Project, das sämtliche 24 Paganini- Capricen in Versionen für Solo-Violine und Orchester in verschiedensten Bearbeitungen bzw. Neukompositionen von Spätromantik bis Atonalität präsentiert. Als Zugabe dazu arrangierte der das Projekt federführend stützende Arrangeur und Komponist Andreas Tarkmann Says Paganini Jazz für Violine, Klavier, Bass und Schlagzeug, wobei er sechs Variationen Says auswählte und für die Praktikabilität des Geigenparts (mit diesem abgestimmte) Veränderungen vornahm.
Laut Angaben des Arrangeurs sind klassisch ausgebildete Musiker Adressaten seiner komplett ausnotierten Fassung, wobei er Klavier und Schlagzeug auch über diese hinausgehende Freiheiten einräumt. Der Schlagzeugpart ist recht ausgedünnt gehalten, er wird von Schlagzeugern angereichert werden. Eine alternative Besetzung des Kontrabasses mit einem E-Bass wäre stilistisch ungünstig. Es dürfte nicht leicht sein, ein Ensemble dieser Besetzung zusammenzustellen, zumal das Drumset um ein Vibrafon erweitert ist. Am ehesten käme wohl ein Jazz-Klaviertrio infrage, das sich um eine Violine verstärkt.
Paganini Jazz ist eine offene Variationsfolge, Say spielt sie in längeren oder kürzeren Versionen. Die dem Intro und dem Thema folgende erste Variation erinnert an Sinti-Jazz. Die dritte ist eine Rumba, die fünfte, mit „New Age“ bezeichnet, klingt wie eine Pop-Ballade. Dazwischen erscheinen Duos, eines im Pizzicato von Violine und Kontrabass und ein fantasieartiges, improvisatorisches Andante von Violine und Klavier. Eine zupackende Swing-Variation bildet den Abschluss.
Form und harmonische Anlage der Caprice werden weitgehend beibehalten, in der Rumba wird sie zum Zweck der Überleitung aufgelöst, in der Ballade nur noch der Themenkopf verwendet, jetzt über einem Lamento-Bass. Verbindendes Mittel ist die „flatted fifth“; sie taucht in Themenbildungen und auch in Walking Basses auf, viele Figurationen beziehen sich auf den Blues. Entgegen dem Untertitel erweist Say auch dem Traditional Jazz seine Reverenz.
Liepes Aufnahme von Paganini Jazz ließe sich in die Rubrik „Jazz meets Classic“ eingruppieren, sie knüpft damit an ähnliche Bestrebungen an, wie sie z. B. Menuhin oder Perlman versucht haben; sie besitzt den Charme der Suiten Claude Bollings. Dieses Stück bietet dem Publikum eine wirkungs- und niveauvolle Unterhaltung.
Christian Kuntze-Krakau