Peter Tschaikowsky, Igor Strawinsky, Sergej Prokofjew
Overture from Pique Dame, Jeu de cartes, Four Portraits and Final from The Gambler
Norddeutsche Philharmonie Rostock, Ltg. Marcus Bosch
Von Rostock nach St. Petersburg sind es gerade 1272 Kilometer Luftlinie, zu dem mit der Stadt befreundeten Kaliningrad gerade mal 546. Möglich, dass die relative Nähe auch das Programm dieser CD der Norddeutschen Philharmonie Rostock mit Werken von Tschaikowsky, Strawinsky und Prokofjew beeinflusste. Mit dem Aufnahmejahr 2020 feiert diese Scheibe gleichzeitig den offiziellen Einstand des neuen Chefdirigenten Marcus Bosch. Freilich wurde er vom Rostocker Orchester bereits 2018 – direkt nach seiner Zeit als Nürnberger GMD – als Conductor in Residence verpflichtet. Insofern ist man bereits aufeinander eingespielt, und das hört man auch aus diesen Aufnahmen heraus. Allerdings will man ihn und das Orchester auch endlich wieder live erleben – was die Corona-Pandemie verhindert. Zudem fehlen in der aktuellen Politik Öffnungs-Strategien für den Kulturbetrieb, dessen Hygiene-Konzepte selbst Fachleute überzeugen. Aber das ist ein anderes Thema.
Den erfahrenen Operndirigenten Bosch erkennt man gleich im Vorspiel zu Tschaikowskys Puschkin-Oper Pique Dame (1890), das angemessen dunkel und schwermütig beginnt und dann expressiv aufgeladen wird. Umso überraschender der Stilwechsel zu Igor Strawinskys Ballettmusik Jeu de cartes – Kartenspiel – (1937), die luftig, frech und zitierfreudig einen neoklassischen Ton anschlägt. Die thematische Verklammerung wird auf dieser CD über das Thema Kartenspiel hergestellt, das Tschaikowskys Oper mit Strawinskys Ballett und Sergej Prokofjews Auszügen aus der Oper Der Spieler (1915-1917) verbindet. Dazu erklärt das lesenswerte Booklet von Corina Wenke und Clara Richter: „Die Verheißung des Glücks und die Gefahr des Untergangs liegen selten so nah beieinander wie im Glücksspiel.“ Ein Stoff wie geschaffen für die Bühne.
Besonders in Strawinskys raffinierter Partitur dürfen sich die quirligen Holzbläser und das trocken-pointierte Blech der Norddeutschen Philharmonie Rostock beweisen. Das gelingt ihnen vortrefflich, und es zeugt von der Qualität des Klangkörper und Boschs langjähriger Dirigiererfahrung, dass alles sehr homogen und gut ausbalanciert klingt (durchaus vorbildlich auch in den Streichern). Die Chemie stimmt zwischen dem Neuen am Pult und dem Orchester. Hier und auch in den opulent präsentierten „Vier Portraits und Finale“ aus der Dostojewski-Oper Der Spieler wird wieder einmal bewiesen, was jenseits von Starrummel im Klassikbereich einer deutschen Stadt mit circa 200 000 Einwohnern geleistet wird.
Understatement herrscht auf dem Titelbild dieser CD: Darauf ist nicht Bosch zu sehen. Das entspricht sicher seinem Verständnis, dass Erfahrung und Können mehr wert sind als plakative Vermarktung von Typen. So ähnlich hat er es gegenüber BR Klassik einmal geäußert. Aber ein Roulettekessel in Nahaufnahme passt irgendwie gar nicht zum Thema Kartenspiel.
Matthias Corvin