Johann Sebastian Bach, Bernhard Bach, Ludwig Bach
Ouvertures for orchestra
Concerto Italiano, Ltg. Rinaldo Alessandrini
Über eine mangelnde Auswahl an Interpretationen von Bachs Ouvertüren lässt sich nicht klagen. Von Concentus Musicus unter Nikolaus Harnoncourt über die Akademie für Alte Musik und das Freiburger Barockorchester bis hin zum Ensemble La Petite Bande unter Sigiswald Kujken haben zahlreiche Ensembles für Alte Musik die berühmten Stücke eingespielt. Umso beachtlicher ist es, dass das vorliegende Album allemal eine Bereicherung des weit gefächerten Angebots darstellt, und dies vor allem aus zwei Gründen: Die Kombination der bekannten Suiten mit zwei dramaturgisch ähnlich gestalteten, kaum bekannten Orchester-Ouvertüren von Johann Bernhard und Johann Ludwig Bach, zwei Cousins zweiten Grades des berühmten Johann Sebastian, wirkt sehr reizvoll. Zudem gelingt den Italienern eine überzeugende Einstudierung, bei der jede Stimme von nur einem Musiker gespielt wird.
Ob Bach seine Ouvertüren mit ähnlich kleiner Besetzung aufführte, lässt sich aufgrund der spärlichen Notenmateriallage zwar nicht ableiten, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass Kopien von Stimmen verloren gingen. Aber denjenigen Hörern, die sich die Aufnahmen ohne das Wissen um diese Details anhören, wird das womöglich kaum auffallen, denn darin liegt die eigent-
liche Sensation dieser Einspielung: Die majestätischen Eröffnungssätze tönen derart prächtig und voll im Klang, dass man ohne Weiteres annehmen könnte, jeder Part wäre mindestens zweifach besetzt. Einen großen Anteil daran haben freilich die grandiosen Trompeter, die mit ihren sauberen, makellosen Tönen, die sie aus ihren ventillosen Instrumenten hervorzaubern, Staunen machen. In solcher Brillanz hat man die historischen Blechblasinstrumente kaum je gehört.
Von großem Vorteil erweist sich dagegen die schmale Besetzung, die Rinaldo Alessandrini
in einem interessanten, aber leider nicht ins Deutsche übersetzten Essay im Booklet begründet, bei den kürzeren Menuetten, Gavotten und Bourréen, deren tänzerischem Gestus der schlanke, transparente Streicherklang gut tut. Dies auch dank moderater Tempi, mit denen sich Concerto Italiano wohltuend von zahlreichen anderen Ensembles der Originalklangbewegung abhebt, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, zusehends noch schneller durch die Sätze zu hetzen. Mithin waltet in Alessandrinis Einstudierungen ein Höchstmaß an Eleganz, Anmut und Grazilität, wobei stets auch der silbrige Glitzer des Cembalos hörbar zu Ehren kommt.
Seine große Könnerschaft zeigt Concerto Italiano freilich auch mit der Gestaltung der berühmten, vielfach romantisierten, verkitschten Air in der D‑Dur-Ouvertüre BWV 1068. Sie spielt insbesondere der Sologeiger zärtlich berührend und unpathetisch.
An den Werken der beiden Bach-Cousins, die ein wenig an Telemanns beliebte Tafelmusiken erinnern, zeigen sich noch stärker die Einflüsse französischer und italienischer Tanzmusik. Insbesondere in der Suite von Johann Bernhard Bach finden sich hübsche melodische Einfälle und rhythmisch eigenwillig markante Ohrwürmer, die aufhorchen lassen.
Kirsten Liese