Ludwig van Beethoven

Ouvertüren: Die Geschöpfe des Prometheus op. 43/Coriolan op. 62/Egmont op. 84

Urtext, hg. von Jonathan Del Mar, Partituren

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 9/2022 , Seite 64

Die Beethoven-Editionen aus dem Bärenreiter-Verlag, allesamt herausgegeben vom britischen Beethoven-Forscher (und Musiker!) Jonathan Del Mar, haben in kürzester Zeit Standards gesetzt. Dabei verblüfft vor allem die im editorischen Bereich sehr ungewöhnliche Verbindung von Qualität und Quantität, wenn in einem vergleichsweise überschaubaren Zeitraum alle Sinfonien, alle Konzerte, alle Klaviersonaten, alle Cellosonaten und -variationen sowie fast alle Streichquartette in vorbildlichen textkritischen Neuausgaben mit umfangreichem wissenschaftlichem Apparat herausgebracht wurden. Die Beethoven-Philologie ist bekanntlich kein Kinderspiel, und selbst der Fachmann kann kaum ermessen, was für eine ungeheure Arbeitsleistung und wieviel persönlicher Enthusiasmus eines einzelnen Mannes in diesem Projekt stecken.
Nun also legt Jonathan Del Mar drei der bekanntesten Ouvertüren Beethovens in kritischer Neuausgabe der Partitur vor. Neben dem Notentext enthalten die Ausgaben ein zweisprachiges Vorwort sowie einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat in englischer Sprache, mit dem der Interessierte jedoch auch ohne Übersetzung sehr gut arbeiten kann. Die Qualität des Notentexts ist tadellos; das Ganze liest sich hervorragend und das Auge wird auch nicht durch ein Übermaß an diakritischen Zeichen oder Herausgeberzusätzen vom Wesentlichen abgelenkt. Zudem ist das Format der Ausgabe so beschaffen, dass man sie als Studienpartitur für zu Hause ebenso nutzen kann wie als Dirigierpartitur.
Wieviel Herzblut und Kennerschaft in dem Projekt steckt, macht freilich erst (einmal mehr) die Lektüre der dem Notentext nachgereichten Textteile deutlich, namentlich des „Critical Commentary“. Del Mars Vorgehen ist vorbildlich, wenn er mit einer Reihe von Erklärungen behutsam in die Spezialterminologie des Anmerkungsapparats einführt, dann eine sorgfältige Quellenschau bietet und zudem die editorischen Leistungen seiner Vorgänger(-Editionen) würdigt und in seine eigene Arbeit mit einbezieht. Da wird selbst das Durcharbeiten der einzelnen Anmerkungen zur Textkritik zum Vergnügen, denn man erfährt dort buchstäblich auf Schritt und Tritt eine Menge über Beethovens Arbeitsweise, die Mühe, die seine Sachwalter damit hatten und haben, sowie ganz allgemein über die Entstehungs-, Revisions- und Editionsgeschichte des jeweiligen Werks. Und wem das immer noch nicht genug ist, der erhält in den nachgereichten Appendices weiteres Material zu unklaren, problematischen oder alternativen Lesarten.
Positiv ist abschließend zu vermerken, dass der Preis der einzelnen Ausgaben durchaus moderat kalkuliert ist. Man bekommt kaum einmal so viel Beethoven und so viel Wissenschaft fürs Geld. Auch diesen Editionen ist weiteste Verbreitung zu wünschen.
Ulrich Bartels