Werke von Alfred Schnittke, Valentin Silvestrov und ­Dimitrij Shostakovich

Outcast

Matangi Quartet

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Oak music
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 71

Das in den Niederlanden beheimatete Streichquartett Matangi hat sich in den nunmehr 22 Jahren seines Bestehens als ebenso kreatives wie wagemutiges Ensemble einen Namen gemacht. Die Aufnahmen für sein aktuelles Album fanden im Juli 2021 statt. Der Titel Outcast bedeutet soviel wie „Außenseiter“ oder „Ausgestoßener“ und präsentiert drei Komponisten aus dem ehemaligen Sowjetrussland, die aufgrund ihrer unkonventionellen Musik Probleme mit den Machthabern hatten bzw. immer noch haben: Der Ukrainer Valentin Silvestrov wurde vom russischen Regime stets so gut wie ignoriert und hat in der letzten Zeit vor allem in Westeuropa von sich reden gemacht – nicht zuletzt durch Einspielungen beim Label ECM. Nach Ausbruch des Krieges in seiner ukrainischen Heimat hat der Komponist, der im September 85 Jahre alt wurde, mit seiner Tochter Zuflucht in Berlin gefunden. Vertreten ist er auf der CD mit ­seinem ersten Quartett.
Zwei weitere Komponisten stellt die CD Outcast vor: Schostakowitsch mit seinem achten und Schnittke mit seinem dritten Quartett. Zur Aufnahmezeit konnte damals wohl noch keiner ahnen, wie aktuell das Motto nur kurze Zeit später werden würde.
Dass allen drei Quartetten ein tendenziell tragischer emotionaler Gehalt zu Grunde liegt, macht das Spiel der Matangis allenthalben deutlich: Stets wird wie auf der Stuhlkante sitzend musiziert, die Akzente sitzen messerscharf und gelegentlich besitzen die vier Musiker:innen auch den Mut zur Hässlichkeit, wenn es die kompositorische Struktur verlangt. Aber eben nur gelegentlich: Es finden sich keine der diversen Übertreibungen in Richtung Kratzbürstigkeit, die zum Beispiel bei Schostakowitsch gerne benutzt werden, um dessen „Widerständigkeit“ hervorzuheben. Es findet sich bereits genug Trauer und Härte in der Partitur, aber eben auch Lyrik und subversiver Humor, denen das Matangi Quartet Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Alfred Schnittkes Streichquartett Nr. 3 ist ein typisches Dokument von dessen polystilistischer Kompositionsweise – mit Zitaten von Orlando die Lasso bis Schostakowitsch. Es ist dem Matangi Quartet zu danken, dass es Schnittkes typischen Trauerton in seiner Interpretation zwar nicht überspielt, aber das Werk auch nicht in Düsternis erstarren lässt; eine aufregende Deutung.
Und dann das Streichquartett Nr. 1 von Silvestrov: Die Matangis nehmen sich für diese aus der Ferne aufscheinenden und wieder verschwindenden Klänge noch einige Minuten mehr Zeit als das Rosamunde Quartett bei ECM – womit sie die Überzeitlicheit von Silves­trovs Tonsprache, in der Musik nur das langsame Verklingen von bereits Vergangenem zu sein scheint, noch zusätzlich betonen. Das Werk bildet – zumindest für den Schreiber dieser Zeilen – den Höhepunkt der Veröffentlichung.
Die Klangqualität ist hervorragend: transparent, sehr direkt und trotzdem warm. Wenn das Beiheft etwas mehr Informationen über die Werke liefern würde, wäre das Glück perfekt. Aber auch so handelt es sich um eine beglückende CD!
Thomas Schulz

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