Our Hunting Fathers/ Quatre Chansons Françaises/ Symphonic Suite from „Gloriana“

Als die vorliegende CD geplant, aufgenommen und am 2. September 2022 veröffentlicht wurde, lautete der Text der englischen Nationalhymne noch „God save the Queen“ – und eine der beliebtesten Fassungen ist die von Benjamin Britten. Sechs Tage nach Veröffentlichung der CD verstarb Königin Elizabeth II. Der Text zur Hymne heißt also nun „God save the King“.
Der Tod der über 70 Jahre regierenden britischen Monarchin lässt auch die vorliegende Benjamin-Britten-CD in einem ganz neuen Licht erscheinen. Sie war wohl mit Blick auf das Thronjubiläum 2022 konzipiert, ist nun aber zu einem Erinnerungsstück an die einzigartige Regentschaft geworden. Im Text zum Booklet wird eigens betont, dass zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses die Queen noch regierte und am Leben war. Nun ist Charles König und im Mai steht seine Krönung an. Ob es in diesem Zusammenhang auch eine neue Oper geben wird? Als Elizabeth II. 1953 gekrönt wurde, folgte der Feier in Westminster Abbey sechs Tage später die Uraufführung der von Benjamin Britten eigens zu diesem Anlass und mit königlichem Wohlwollen komponierten Oper Gloriana, deren Handlung um die andere Königin Elizabeth aus dem 16. Jahrhundert kreist. Das Stück hat sich im Gegensatz zu vielen anderen Britten-Opern nicht im Repertoire behauptet. Wenn, dann ist Musik aus diesem Werk bekannt durch eine Sinfonische Suite op. 53a. Diese beinhaltet vor allem die Stücke, in denen Britten den Ton der Renaissance aufgreift, und den elegischen Epilog.
Auf der vorliegenden CD, im Sommer 2020 aufgenommen, ist eben jene Suite zu hören, dazu die Quatre Chansons Françaises des 14-jährigen Britten auf Texte von Victor Hugo und Paul Verlaine und als weiteres Werk des noch jungen Komponisten Our Hunting Fathers nach Texten von Wystan Hugh Auden. Ivor Bolton steht am Pult des Sinfonieorchesters Basel, dessen Chefdirigent er seit 2016 ist. Zusammen mit den drei Gesangssolist:innen – dem Tenor Mark Padmore, der Sopranistin Christina Landshamer und dem Tenor Alasdair Kent – gelingen ihm absolut idiomatische und faszinierende Wiedergaben, die den spezifischen Ton und Reiz der drei Werke des englischen Komponisten aufs Beste zur Geltung bringen. Die zum Teil extremen Ausdruckswerke des Liederzyklus nach Auden erklingen in ihrer vollen Schärfe, ohne dabei platt und plakativ zu erscheinen. Die Chansons entfalten ihren delikaten Klangreiz und zeigen eine reife Kunst des jungen Komponisten. In der Gloriana-Suite findet der in der Alten Musik bekanntermaßen sehr erfahrene und ausgezeichnete Dirigent genau die richtige Mischung zwischen dem Zauber der heraufbeschworenen elisabethanischen Zeit und der Vergegenwärtigung von Brittens Kunst der Aneignung des fernen Stils in seiner eigenen Musiksprache.

Karl Georg Berg