Otto Klemperer
RIAS Recordings Berlin, 1950-1958. Werke von Beethoven, Mozart, Mahler und Hindemith, 5 CDs
Das Label Audite hat in den vergangenen Jahren eine Fülle historischer Aufnahmen aus dem Archiv des Berliner RIAS in Umlauf gebracht, u.a. mit den Dirigenten Sergiu Celibidache, Wilhelm Furtwängler und Hans Knappertsbusch. Die jüngste Kollektion, wie üblich ein Mix aus Live- und Studioaufnahmen, ist Otto Klemperer (1885-1973) gewidmet.
Dieser Dirigent gilt heute vor allem wegen seiner späten Plattenaufnahmen als eine Art Lordsiegelbewahrer von Tradition. Der Produzent Walter Legge bezeichnete ihn als deutscher als die meisten Deutschen. Dabei verlief die Karriere Klemperers lange Jahre unangepasst und kantig. Sein Debüt gab er kurioserweise mit Jacques Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. In der Folge profilierte er sich stark im Bereich der zeitgenössischen Musik. An der von ihm geleiteten Berliner Kroll-Oper (sie existierte lediglich von 1927 bis 1931) hob er beispielsweise Igor Strawinskys Ödipus Rex und Paul Hindemiths Neues vom Tage aus der Taufe, machte das Haus überhaupt zu einem Bollwerk gegen die Repräsentationskultur (so Wolfgang Schreiber in seinem Dirigenten-Buch). Auf das an diesem Theater trotzig gepflegte Repertoire kam Klemperer später nur noch selten zurück. Innerhalb der RIAS-Konzerte (1950-1958) erinnert gerade mal Paul Hindemiths Ballettsuite Nobilissima Visione an Klemperers einstiges Engagement für die Moderne.
Dem Umstürzler Gustav Mahler (welcher den jungen Klemperer förderte) wahrte der Dirigent allerdings bis zuletzt eine besondere, unverbrüchliche Treue, kulminierend in der Einsame Insel-Aufnahme des Lieds von der Erde (Christa Ludwig, Fritz Wunderlich). Die RIAS-Kollektion bietet die relativ lichte 4. Sinfonie, im Finalsatz mit der nicht ganz freien, dennoch sehr seelenvollen Elfride Trötschel (zwei Jahre zuvor hatte sie das Werk mit Klemperer bereits beim WDR Köln aufgenommen). Klemperer bewahrt Mahlers Musik vor emotionaler Weitschweifigkeit, ohne ihr genuines Pathos zu verweigern. Ihn leitete stets, so der Kritiker Werner Oehlmann, ein strenges Stil- und Formgefühl.
Ein ähnliches musikalisches Klima prägt die Beethoven-Deutungen Klemperers (2., 3., 6. Sinfonie): belebt und drängend, bei besonders gewichtiger Formulierung der Introduktionen. Das dezidiert theatralische Temperament der Egmont-Ouvertüre prägt auch einige der Mozart-Aufnahmen, zumal die Don Giovanni-Ouvertüre. Doch auch die g-Moll-Sinfonie KV 183 und die Prager KV 504 leben von wetterleuchtenden Impulsen, anderes (Sinfonie KV 201, Serenata notturna KV 239) könnte man sich gelöster vorstellen. Der Solist des 3. Beethoven-Klavierkonzerts, Hans-Erich Riebensahm, liefert eine solide Interpretation, nicht mehr.
Wer interpretatorische Vergleiche schätzt, sei auf den Wiener Beethoven-Zyklus Klemperers von 1960 mit dem Philharmonia Orchestra hingewiesen, von Music and Arts zeitgleich mit der Audite-Box veröffentlicht.
Christoph Zimmermann


