Widor, Charles-Marie

Organ Symphonies opp. 42 & 81

Rubrik: CDs
Verlag/Label: cpo 777 443-2
erschienen in: das Orchester 03/2011 , Seite 71

Charles-Marie Widor freute sich, als er von Eduard VII., dem Prince of Wales und späteren britischen König, anno 1880 eingeladen wurde, in der Londoner Royal Albert Hall ein Benefizkonzert zu gestalten. Widor, seit zehn Jahren Organist an der Kirche Saint-Sulpice in Paris, der zweitgrößten nach Notre-Dame, und somit an riesengroße Räume gewöhnt, kam gleichwohl ins Grübeln – angesichts der gigantischen Ausmaße der Londoner Konzertarena, in die rund 8000 Personen hineinpassen. Wie sollte er mit seiner Musik ein solches Auditorium beschallen? Widor gab sich ganz pragmatisch. Er griff auf seine zwei Jahre zuvor entstandene sechste Orgelsinfonie zurück und rüstete deren Ecksätze auf mittels eines ausgewachsenen Sinfonieorchesters samt knackiger Blechbläserbatterie. In die Mitte setzte er das freundliche Andante seiner zweiten Sinfonie – und fertig war sein runderneuertes Opus 42, das in London mächtig Eindruck hinterließ.
Christian Schmitt, Jahrgang 1976, präsentiert diese feierlichen Klänge zusammen mit den Bamberger Symphonikern – Bayerische Staatsphilharmonie unter Leitung von Stefan Solyom. Eine glanzvolle Interpretation. Schmitt spielt mit wohldosierter Agogik, gestattet sich ein breites Rubato, schlägt ein nicht zu galoppierendes Tempo an – macht also all das, was dieser vom Geist der Kathedralmusik her gedachten Widor-Sinfonie sehr gut ansteht. Und dazu noch in perfekter Übereinstimmung mit dem Orchester. Bis hinein in kleinste Nuancen stimmen die Übergänge, das gemeinsame Atmen.
Mit derselben Akkuratesse widmen sich die Interpreten auch der von Widor 1906 komponierten Sinfonia Sacra op. 81: tiefste Romantik vom ersten Takt an, aus dem sich langsam das von der Solo-Violine vorgestellte Thema Nun komm der Heiden Heiland herausschält. Widor betrachtet es wie durch ein Kaleidoskop, gibt sowohl der Orgel als auch einer ganzen Reihe von Soloinstrumenten des Orchesters Raum zur Klangentfaltung (ausgezeichnet das Holz, wunderbar samtig die Streicher). Zum Schluss eine ausgewachsene Fuge – die klingende Verbeugung vor jenem Meister, dem Albert Schweitzer seine große Biografie gewidmet und zu der Widor ein enthusiastisches Vorwort verfasst hat: Johann Sebastian Bach.
Christian Schmitt, u.a. Stipendiat der Deutschen Stiftung Musikleben, sitzt an der von Georg Jann erbauten Orgel des Bamberger Konzerthauses. Ein passendes Instrument. Was die Aufnahmetechnik betrifft – das ist immer (auch) Geschmacksache: Die einen mögen lieber, wenn das Orchester im Vordergrund steht, die anderen wünschen sich die Dominanz der Orgel. Letzteres ist hier nicht der Fall, selbst dort nicht, wo der Organist die horizontalen Trompeten, die „Chamaden“ zieht – zum Beispiel am Ende des ersten Satzes des Opus 42. Alles in allem eine runde, sehr gelungene Einspielung.
Christoph Schulte im Walde