Ravel, Maurice

Orchestral Works Vol. 2

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, Ltg. Stéphane Denève

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic CD 93.325
erschienen in: das Orchester 03/2015 , Seite 78

Vor einigen Monaten erschien die erste Folge einer Gesamtaufnahme der Ravel’schen Orchesterwerke mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter Stéphane Denève (siehe Besprechung in das Orchester 3/2014, S. 80). Sowohl der Dirigent als auch das Orchester wussten mit dieser Einspielung rundum zu überzeugen. Mit dem vorliegenden Volume 2 vermögen die Interpreten nun größtenteils an diesen Erfolg anzuknüpfen. Denève, dessen untrügliches Gespür für französische Musik bereits
in Einspielungen von Werken Debussys, Roussels und Poulencs zu bewundern war, leistet sich auch bei Ravel keinen Fehltritt, denn er ist sich dessen bewusst, dass der Komponist seine Musik keineswegs „interpretiert“, sondern lediglich perfekt gespielt wissen wollte. Da die für Ravel typische untergründige Dämonie – anders als bei den in der Folge 1 präsentierten Werken (u.a. La valse und der Boléro) – in den hier eingespielten Kompositionen keine tragende Rolle spielt, beschränkt sich Denève in seinem Dirigat auf zwei musikalische Grundingredienzien: glasklare Auffächerung des motivischen Geflechts und feinsinnige Austarierung der mannigfachen klangfarblichen Werte.
Auf diese Weise gelingen ihm ungemein detailreiche (aber eben nicht: detailverliebte!) und warmherzige Interpretationen etwa des gesamten Ma mère l’oye-Balletts, des Menuet antique und der selten gespielten, für Ravel noch nicht vollständig typischen, aber dennoch sehr ansprechenden Shéhérazade-Ouvertüre. Den Höhepunkt der CD stellt für mich Une barque sur l’océan dar: ein funkelndes Kaleidoskop von Farbflecken und kleinsten Motiven, die sonst in dem Stück kaum je zu vernehmen sind. Dass der Ozean sich bei Denève weniger stürmisch gibt als sonst, sondern eine vorwiegend ruhige Oberfläche präsentiert, mag ungewohnt sein, aber passt zum quasi meditativen Konzept des Dirigenten in diesem Werk.
Ansonsten hält sich Denève, ganz im Sinne des Komponisten, vornehm zurück, wenn es darum geht, eigene Ideen beizusteuern. Dass er in der „Laideronette“ aus Ma mère l’oye das eine oder andere Streicher-Glissando sowie ein Instrument hinzuzieht, das wie ein chinesisches Becken klingt – wohl um die exotische Szenerie zu unterstreichen –, dürfte kaum ein Problem darstellen. Lediglich in der populären Pavane pour une infante défunte präsentiert er vielleicht ein Zuviel an dirigentischen Akzentsetzungen und didaktischen Hinweisen auf schöne Stellen – mit dem Ergebnis, dass der ruhige Fluss des betont schlichten Stücks sich nicht in der gebotenen Kunstlosigkeit entfalten kann.
Last but not least bleibt zu erwähnen, dass, wie auch schon in der ersten Folge, das Stuttgarter Orchester sich unter den Händen seines Chefdirigenten als ein auf Ravels Klangwelten perfekt eingestimmtes Ensemble erweist.
Thomas Schulz