Hans Rott

Orchestral Works, Vol. 2: Symphony No. 1/Symphony for Strings/Symphonic Movement

Gürzenich-Orchester Köln, Ltg. Christopher Ward

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio
erschienen in: das Orchester 07-08/2021 , Seite 70

Seit Ende der 1980er Jahre ist die kompositorische Stimme von Hans Rott (1858-1884) immer wieder quasi ausschließlich mit seiner Sinfonie Nr. 1 E-Dur von 1878 bis 1880 zu hören, einem Werk attraktiver klanglicher Opulenz und großer dramatischer Innenspannung. Es wäre verfehlt, würde man Rott aus der Perspektive Gustav Mahlers sehen wollen (obschon nicht nur das Scherzo für Mahler eindeutig Vorbildfunktion gehabt haben muss) oder die Verbindung zu Anton Bruckner zu stark hervorheben, dessen Lieblingsschüler er (im Fach Orgel) war; auch Wagner oder Brahms ließen sich an entsprechender Stelle bemühen. Vielmehr wäre es richtiger, bei Rott von einem eigenen kompositorischen Weg zu sprechen, ähnlich wie dieser bei Franz Schmidt, Julius Bittner oder Robert Fuchs zu finden ist. Rotts harmonischer und instrumentatorischer Erfindungsreichtum weist ihn als frühreifen Meister aus, der auch die Entwicklungen der kommenden Generation (Marx, Zemlinsky oder Reger) vorausdeutete.
Gerade diesen eigenen kompositorischen Weg auch unverstellt zu vermitteln, ist keine einfache Aufgabe – manche frühere Einspielung des Werks ist daran gescheitert. Zu stark wurde das Bekannte betont, das Neue zu stark hervorgehoben, statt ein organisches Ganzes darzubieten. Christopher Ward, der seine Rott-Edition mit dem Kölner Gürzenich-Orchester bewusst umfassend angelegt hat, kennt den Orchesterkomponisten und seine Eigenheiten wohl besser als die meisten seiner Kollegen. Ihm gelingt nicht nur eine dramaturgisch stringente, auf den Punkt konzentrierte Interpretation in vorzüglicher Orchestervorbereitung und fein ausgehörter Balance, sondern vor allem auch eine Interpretation, in der die „Einflüsse anderer“ organisch inkorporiert sind und nicht über Gebühr betont werden.
Neben der Sinfonie bietet die CD als Premiere die ursprüngliche Fassung ihres Kopfsatzes, deren Unterschiede im leider ohnehin festgefahrene Positionen repetierenden Booklettext ein wenig klarer herausgearbeitet hätten werden können. Außerdem hören wir die Sinfonie As-Dur für Streichorchester (1874-75) – ein geradezu nachklassisches Werk, das mit den Erwartungen des eher konservativen Publikums spielt. Durch die reduzierte Besetzung kann das Gürzenich-Orchester in äußerst vorteilhafter Weise die kontrapunktischen Qualitäten der Komposition herausarbeiten, ohne den symphonischen Orchestergestus zu verlieren. Gleichzeitig vermitteln die Rheinländer überzeugend auch den „Wiener Schmäh“, der der Musik gleichfalls in hörbarem Maße innewohnt.
Nur eins sollte sich das Gürzenich-Orchester abgewöhnen: die Celli und Kontrabässe unreflektiert an die rechte Seite des Klangkörpers zu platzieren. Das ist eine „Tradition“, die erst durch Leopold Stokowski und seinen „Hollywood Sound“ im 20. Jahrhundert um sich griff – und, wie ein Dirigent einmal gestand, ihm und den zweiten Geigen die Möglichkeit gibt, weniger proben zu müssen.

Jürgen Schaarwächter