Ravel, Maurice

Orchestral Works Vol. 1

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic CD 93.305
erschienen in: das Orchester 03/2014 , Seite 80

> Dass der französische Dirigent Stéphane Denève ein untrügliches Gespür für die Musik seines Heimatlands besitzt, hat er schon mehrfach unter Beweis gestellt: So spielte er mit dem Royal Scottish National Orchestra, dem er von 2005 bis 2012 als Music Director vorstand, einen Zyklus mit sämtlichen Sinfonien Albert Roussels ein und legte zudem eine Auswahl der Orchesterwerke Claude Debussys vor. Sämtlichen dieser Aufnahmen wurde, zu Recht, großes Lob zuteil. Seit Beginn der Saison 2011/12 ist er Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR, und zu den ersten CD-Projekten mit seinem „neuen“ Orchester zählt eine Gesamtaufnahme des orchestralen Schaffens Maurice Ravels, deren erste Folge nun vorliegt.
Auch hier lässt sich nur Positives berichten. Die Musik Ravels ist nicht so leicht überzeugend auf den Punkt zu bringen. Allzu oft verleitet die perfekte Oberfläche der Ravel’schen Tonsprache Hörer wie Interpreten dazu, nicht mehr als eben diese Oberfläche wahrzunehmen und darzustellen; das Resultat ist dann eben: Oberflächlichkeit. Andererseits hat es sich auch herumgesprochen, dass unter der glänzenden Oberfläche oft Abgründe verborgen sind, auf die in vielen Interpretationen mit dem Zeigefinger hingewiesen wird. Ein Abgleiten in platte Dämonie verträgt die Musik jedoch ebenso wenig.
Wie man es richtig macht, zeigt Stéphane Denève gleich zu Beginn der CD in La Valse. Nach dem kaum hörbaren Beginn eröffnet der Dirigent sofort ein wahres Kaleidoskop an gleißenden Orchesterfarben, das Details hörbar macht, die gemeinhin kaum zu vernehmen sind. Doch sind alle wertvollen Einzelheiten stets dem konsequent sich steigernden Walzerrhythmus untergeordnet, der allein die Entwicklung des Stücks steuert. Die finale Katastrophe ist nicht, wie so oft, von außen aufgepfropft, sondern aus dem rhythmischen und motivischen Geschehen heraus entwickelt. Unwillkürlich, getrieben von ihrer eigenen, nicht mehr zu stoppenden Dynamik taumelt die Musik dem Abgrund entgegen.
Wunderschön ausmusiziert, mit liebevoll ausgebreitetem Detailreichtum und Sinn für Ravels ganz eigene Ironie erklingen die Rapsodie espagnole und Alborada del Grazioso, wobei, wie auch bei allen anderen Stücken, der ebenso warme wie glasklar eingefangene Orchesterklang einen nicht geringen Anteil hat. Es grenzt an ein Wunder, wie Denève bei mustergültiger Befolgung des Partiturtexts und ohne jede sentimentale Übertreibung die tieferen Dimensionen des scheinbar so fröhlichen Tombeau de Couperin eröffnet. Lediglich der abschließende Boléro steht nicht ganz auf dieser einsamen Höhe. Wie die meisten Interpreten traut sich auch Denève nicht, das Opus in jenem hypnotisierend langsamen Tempo spielen zu lassen, das Ravel vorschwebte. Und trotz formidabler Orchesterleistung macht das große Crescendo bis hin zum eher sachlichen Schluss einen etwas kursorischen Eindruck. Doch dieser Einwand ist minimal; auf die weiteren Folgen von Denèves Ravel-Erkundungen darf man gespannt sein.
Thomas Schulz